Eingebunden und Verantwortlich



Inhalt

1. Tue es nicht! 2

2. Paradiesgeschichte afrikanisch 2

3. Gott hat viele Hände 3

4. Der Sägewicht 3

5. Was ist ein Baum? 5

6. Die Linde 5

7. Die Fabel von den Schattenpflanzen 6

8. Der Wissenschaftler 7

9. Geschichte Waruski 7

10. Geschichte zum Erarbeiten der Waldregeln 8

11. Der Weltuntergang 9

12. Der Wald lebt 12

13. Der unsichtbare Gärtner 13

14. Der fünfte Tag 14

15. Bäume fällen 15

16. Tod der alten Eiche 15

17. Bäume im Wald 16

18. Baum-Gleichnis 17

19. Der letzte Baum 17

20. Das Baummärchen vom Holzhauer, der den Baum hinaufsteigt 19

21. Der Sorgenbaum 20

22. Die drei Nussbäume 20

23. Die Geschichte vom Volk das die Bäume umarmte 20

24. Ein Baum für Jakob 23

25. Einen alten Baum fällen? 25

26. Afrikanisches Märchen 25

27. Das Lied der Mutter Erde 26

28. Der zitternde Baum 28

29. Ein alter Mann erzählt 28

30. Er-Schöpfung 29

31. Die Geschichte einer Fichte 30

Tue es nicht!

Ein alter Baum - ich wollte ihn fällen; er war wirklich alt und neigte sich

schon. Die Vögel flatterten aufgeregt: Tue es nicht, im weiten Nest seiner

Zweige sind wir ausser Gefahr! Ich nahm die Axt aus dem Rucksack. Eine

Maus purzelte vor Schreck kopfüber ins Loch: Tue es nicht, zwischen den

Wurzeln da und der Wurzel dort wohnen wir zu vielen - und nicht nur

Mäuse!

Ich prüfte die Schärfe der Schneide. Winzige Blüten im Moos glänzten

wie Tränen: Tue es nicht, hundert zierliche grüne nahe und ferne Ver-

wandte würden verschmachten!

Ich umfasste die Axt mit beiden Händen. Ich holte aus und schlug zu - da

entlud sich, ohne Vorwarnung einzelner Tropfen, die Wolke über uns jäh

und flutend wie eine riesige Wanne. Ich warf die Axt über die Schulter

zurück und schmiegte mich eng an den Stamm. Und der Baum liess es

zu.

Drei, vier Vogelliedstrophen später schien wieder die Sonne. Ich ver-

staute die Axt wie ein Dieb im Rucksack. Ich tastete den Schnitt in der

Rinde entlang und atmete auf: Der alte Baum - wegen dieser Wunde

würde er nicht sterben!

Ich ging, ohne mich nochmals umzusehen, den Weg zurück. Ich ging wie

einer, der es nicht mehr im Griff hat, sich nicht zu schämen.

Paradiesgeschichte afrikanisch

Aus der Bibel kennen wir die Geschichte vom Paradies, als die Menschen noch nahe mit Gott zusammen lebten. Doch die Menschen verloren das Paradies und entfernten sich von Gott. In Kamerun wird die Geschichte vom Verlust des Paradieses so erzählt:

„ Einst war der Himmel nahe bei der Erde. Gott

wohnte bei den Menschen.

So nahe war der Himmel, dass die Menschen sich nur

gebückt bewegen konnten. Um ihren Unterhalt mussten

sie sich keine Sorgen machen. Es genügte, die Hand

auszustrecken, und man konnte Stücke vom Himmel abbrechen und essen. Eines Tages aber begann ein

junges Mädchen, die Häuptlingstochter, eine Mukuwan*, die Erde zu betrachten. Statt einem Stück

vom Himmel, nahm sie die Körner, die sie auf dem

Boden fand. Sie machte sich einen Mörser und einen Stampfer. Dann zerstampfte sie die Körner, die sie von

der Erde aufgelesen hatte. Weil der Himmel so nah

war, musste das Mädchen beim Stampfen knien. Wenn

sie den Stampfer hochhob, stiess er gegen den

Himmel und Gott. Sie fühlte sich bei ihrer Arbeit belästigt

und sagte: „ Kannst du dich nicht ein wenig entfernen?" Da entfernte sich der Himmel ein wenig. Sie setzte die Arbeit

fort, und je länger sie die Körner zerstampfte, umso höher hob sie den Stampfer. Sie beschwerte sich wieder, und der Himmel entfernte sich noch einmal. Schliesslich fing sie an, ihren Stampfer weit in die Luft zu heben. Als sie sich zum dritten Mal beschwerte, zog sich der Himmel zurück, dorthin, wo er jetzt ist.

Seit der Zeit stehen die Menschen aufrecht. Sie ernähren sich nicht mehr von Stücken des Himmels. Stattdessen wurde Hirse ihre Nahrung, die die Menschen mühevoll stampfen müssen. Ausserdem kommt Gott nicht mehr wie einst zu den Menschen, um jeden Abend ihr Palaver zu leiten. Jetzt sind die Menschen allein bei ihrem Palaver**. Das ist der Krieg."

* Mukuwan ist ein ungezogenes Kind, das immer

das Gegenteil von dem tut, was angebracht wäre.

** Palaver meint in Afrika ein langes Gespräch, das wichtig für die Gemeinschaft ist. Das Palaver wird meist von Würdenträgern oder dem Familienoberhaupt geleitet.

Gott hat viele Hände

„Der Papalagi* hat eine besondere und höchst verschlungene Art zu denken. Er

denkt immer, wie etwas ihm selbst zu Nutzen ist und ihm Recht gibt. Er denkt

zumeist nur für einen und nicht für alle Menschen. Und dieser eine ist er selbst.

Wenn ein Mann sagt: Mein Kopf ist mein, und er gehört niemandem anders

als mir, so ist dem so, ist dem wirklich so, und keiner kann einen Einwand

dagegen haben. Niemand hat mehr Recht auf seine eigene Hand als der, wel-

cher die Hand hat. Bis hierher gebe ich dem Papalagi Recht.

Er sagt nun aber auch: Die Palme ist mein. Weil sie gerade vor seiner Hütte

steht. Geradeso, als habe er sie selber wachsen lassen. Die Palme ist aber nie-

mals sein. Niemals. Sie ist Gottes Hand, die er aus der Erde uns entgegen-

streckt. Gott hat sehr viele Hände. Himmel, die Wolken dran, alles dies sind

Hände Gottes. Wir dürfen danach greifen und uns freuen; aber wir dürfen

doch nicht sagen: Gottes Hand ist meine Hand. Das tut aber der Papalagi."

* Papalagi (sprich „ Papalangi") heisst: der Weisse, der Fremde.

Der Sägewicht

Da war was los im Wald. Grosse Aufregung herrschte bei allen Bewohnern. » Der Baum stirbt«, schallte es aus allen Winkeln. » Hast du das schon gehört? Er hat wieder zugeschlagen!«,ereiferte sich das Eichhörnchen. » Kann der uns nicht in Ruhe leben lassen« , rief verzweifelt der Uhu. » Wie soll das noch weitergehen? Irgendwann müssen wir alle aus unserem geliebten Wald fliehen«, jammerte das Reh.

Was war passiert? Seit Wochen hatte das kleine giftige Wesen mit Namen Säge-wicht die Wurzeln der Bäume angesägt. Nach und nach begannen die Bäume abzu-sterben. Es fing ganz langsam von unten an. Und irgendwann war kein Leben mehr

in ihnen. Selbst alte Bäume mit ihren kräftigen und weitverzweigten Wurzeln hatten keine Chance zu überleben, wenn der Sägewicht zuschlug.

Die Tiere hatten schon viel ausprobiert, um den Bösewicht zu fassen. Viele Nächte hatten sie die Bäume bewacht. Doch er hatte immer wieder zugeschlagen.

Nun waren alle eingeladen zu einer Versammlung der Tiere. Den Vorsitz hatte der schlaue Fuchs. Er hatte immer gute Ideen. » Freunde«, begann er seine Rede, » wir sind hier zusammengekommen, um den Wald zu retten. Denn wir brauchen den Wald. Er ist unsere Wohnung. Ohne Bäume haben wir keinen Wald mehr. Die bis-herigen Versuche haben nichts gebracht. Wie können wir verhindern, dass dieser böse Sägewicht wieder sein Unwesen treibt? «

» Wir sollten Fallen bauen«, meinte der Dachs, » wenn er dann mit dem Sägen beginnt, tritt er irgendwann hinein. « Der Vorschlag wurde abgelehnt, weil man Angst hatte, dass auch andere Tiere dort hineinfallen könnten.

» Ich habe eine bessere Idee«, meldete sich der Habicht. » Ich kann mit meinen Kumpels über den Bäumen schweben. Unsere Augen sehen alles« , ereiferte er sich und schlug dabei mit seinen kräftigen Flügeln. Auch diese Idee fand keine Mehrheit, weil der Sägewicht sich sehr schnell bewegte und wieder verschwand.

» Ich habe es!« , schrie das Wildschwein laut. » Meine Idee werdet ihr alle für gut halten.« Die Teilnehmer der Konferenz schüttelten den Kopf. Sie wussten, dass das Wildschwein immer alles besser wissen wollte und gerne im Mittelpunkt stand.

» Ich wurde gestern fast von einem Jäger erschossen« , berichtete das Wildschwein noch ganz erschrocken. » Ich badete mich gerade in einer matschigen Pfütze. Als ich weiterlaufen wollte, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Ich war von oben bis unten verklebt.« Auf einmal wurden alle Tiere neugierig. » Und dann« , fragte der Eichelhäher neugierig, » was ist dann passiert?« » War das die Pfütze an der Schneise?« , fragte der Waldkauz. » Ja, die Pfütze neben der Lichtung« ,bestätigte das Wildschwein. » Dann weiss ich, was das ist. In der Nähe steht ein kaputter Baum, der furchtbar heult. Seine Harztränen haben sich in der Pfütze gesammelt.«

Jetzt wusste das Wildschwein, warum es sich nicht mehr bewegen konnte. Es berichtete weiter, dass es von den Kindern in die Sonne gerollt wurde. Dort lag es viele Stunden, bis sich die klebrige Flüssigkeit langsam löste. Viele Stunden lang kratzten die Wildschweinkinder den Harz mit ihren Hauern ab. Und jetzt kam das Wildschwein wieder zu seiner Idee. » Wir schütten die Flüssigkeit einfach um

die Bäume. Dort wird sich der Sägewicht dann festtreten und wir können ihn fangen. « Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Und so machten sie sich an die Arbeit und beförderten die klebrige Masse um die Bäume des Waldes. Alle Tiere verliessen den Wald und lauschten gespannt, was passieren würde. Plötzlich war ein lauter Schrei zu hören. Es folgten Flüche und Beschimpfungen. Der Sägewicht war gefangen. Doch wie sollte es weitergehen?

Überlegt euch, wie die Geschichte zu Ende gehen könnte.

Was passiert mit dem Sägewicht? Wird er bestraft

oder ändert er sogar sein Verhalten?

[pic]

Wie wäre es mit einem Waldprojekt: eine Säuberungsaktion im Wald, bei der ihr alle weggeworfenen Gegenstände, die ihr findet, auf einem

Blatt notiert. Was werfen die Menschen am häufigsten weg?

Vielleicht könnt ihr auch in Absprache mit dem Förster den Müll in einem durchsichtigen Behälter ausstellen. So könnten alle Waldbesucher sehen, wie manche Menschen die Natur verschmutzen.

Was ist ein Baum?

Nacherzählt M.Baechler von einer Idee Isalbel Abedi / Ute Kreinacke

Der Baum ist etwas, das es auf der Erde gibt.

Ein Eichhörnchen würde sagen, es ist das beste Geheimversteck. In der kleinen Kuhle vom Stamm zwischen Blättern und Wurzeln verstecken wir unsere Wintervorräte.

Der Schreiner sagt: Aus ihm mache ich die schönsten Dinge, einen gemütlichen Schaukelstuhl, ein niedliche Schatztruhe, und manchmal auch einen Sarg.

Es ist mein Haus. Es trägt mein Nest und schützt mich vor Wind und Wetter.

Es ist eine Plage. Ständig muss ich wischen, und es nimmt mir alles Licht vor dem Fenster.

Es ist ein Wort mit vier Buchstaben, sagt eine Lehrerin,

Es ist ein Spielgerät. Ich kann daran klettern, mich verstecken.

Es ist gefährlich, sagt eine besorgte Mutter.

Es ist mein bester Freund, ich kenne ihn, seit ich ein kleiner Junge war und immer ist er für mich da. Wenn ich traurig bin, lege ich meinen Arm um ihn und er erzählt mir die schönsten Geschichten.

Der Adler sagt, es ist winzig.

Es ist gross, ja riesig gross, meint die Maus.

Es ist köstlich und macht satt, schmatzt der Buntspecht und genehmigt sich einen ordentlichen Tropfen Rindensaft.

In einer windigen Nacht ist es schrecklich schwarz rauscht fürchterlich, erzählt ein kleines Mädchen.

Dichter:

Der Baum ist ein Traum, er wächst aus der tiefen Erde heraus, hält geduldig die stärksten Stürme aus. Doch sein Gipfle schaut in weite Ferne und seine Krone schmücken die Sterne.

Isalbel Abedi / Ute Kreinacke

Die Linde

„Fährst du in den Wald?", fragte Andreas seinen Vater, der die Motorsäge aus

der Scheune holte. „Darf ich mit?" „Heute fahre ich nicht in den Wald", sagte der Vater. „Heute kommt die Linde dran." „Die Linde in unserem Hof", fragte Andreas erschrocken. Der

Vater sah den Jungen nicht an. „Sie muss weg", sagte er und räusperte sich. „Sie macht der Mutter so viel Arbeit, vor allem im Herbst. Aber es sind nicht nur die Blätter. Auch wenn sie blüht, macht sie Dreck." „Blätter und Blüten sind doch kein Dreck", sagte Andreas.

„Nenn's, wie du willst", sagte der Vater. .Weggekehrt werden muss es so und so. Die Mutter hat das Kehren satt. So viel Arbeit, die nichts bringt."

„Aber die Linde ist doch so schön!", rief Andreas. Der Vater warf einen Blick hinauf in den mächtigen Baum. „Für die Schönheit zahlt mir keiner was", sagte er. „Ausserdem steht sie an einer ungünstigen Stelle. Ich muss mit dem Traktor immer einen Bogen um sie fahren, wenn ich in den Schuppen will."

„Ist denn das so schlimm?", fragte Andreas. „Zwei Minuten Umweg?" „Jeden Tag ein paar Mal rein und raus mit dem Traktor", sagte der Vater, „das macht schon eine halbe Stunde pro Tag. Im Jahr summiert sich das. Und jetzt verzieh dich, Junge, du hältst mich auf." Andreas lief neben dem Vater her, der im Schuppen die Axt holen ging. „Aber dein Urgrossvater hat sie doch gepflanzt", rief er. „Das hast du mir erzählt!" „Na und?", brummte der Vater.

„Deinem Grossvater hat der Dreck nichts ausgemacht und dein Vater hat sie auch nicht gefällt", sagte Andreas.

„Die sind ja auch noch auf ein Plumpsklo gegangen, damals", sagte der Vater.

„Heute herrschen andere Sauberkeitsmassstäbe. Also jetzt verschwinde."

„Aber ich weiss von der Grossmutter, dass der Grossvater die Linde lieb hatte!",

rief Andreas. „Noch als er im Krieg auf Urlaub kam, hat er sich immer darunter gesetzt. Deshalb hat die Grossmutter auch oft drunter gesessen, nachdem er gefallen war. Und dein Vater hat sie sicher auch lieb gehabt.

Wozu hätte er sie sonst stehen lassen? Da gibt's doch noch ein altes Foto, wo er unter der Linde sitzt. Damals war sie aber noch längst nicht so dick wie jetzt."

„Früher hatten die Leute eben noch Zeit, sich abends unter eine Linde zu setzen", knurrte der Vater. „So was kann man sich heutzutage nicht mehr leisten, wenn der Schornstein rauchen soll."

„Du sitzt doch auch eine Menge Zeit vor dem Fernseher", sagte Andreas.

„Das ist etwas ganz anderes", sagte der Vater ärgerlich. Er winkte dem Nachbarn, der gerade mit seinem Sohn, dem langen Bernd, zur Hofeinfahrt hereinkam und auch eine Axt in der Hand hielt. „Na, kann's losgehen?", rief er herüber. „Auf geht's'.", rief der Vater zurück und zeigte zwischen Schuppen und Scheune. „Am besten, wir lassen sie dort hin überfallen."

„Nein!", rief Andreas, lief zur Linde und versuchte, den dicken Stamm zu umklammern. „Ich hab sie doch auch lieb! Ich will auch darunter sitzen!"

„Jetzt mach keine Schau", sagte der Vater zornig. „Der Baum ist ja kein Mensch."

„Du willst doch, dass ich später mal hier Bauer bin", rief Andreas. .Aber wenn du

die Linde fällst, kannst du deinen Hof behalten!" Und er brach in Tränen aus.

Der Vater blieb unschlüssig stehen und sah den Jungen an. „Ich kann ihn verstehen", sagte der Nachbar. „Ich würde sie auch nicht umlegen. Wär verdammt kahl hier, ohne sie."

„Und dann die vielen Vögel in den Zweigen", sagte der lange Bernd. „Dann gäb's im Frühling kein Gezwitscher mehr auf dem Hof."

„Ich kehr auch jeden Tag", sagte Andreas und wischte die Tränen weg. „Und ich will zu meinem Geburtstag nichts mehr geschenkt bekommen, damit das mit dem Umweg wieder ausgeglichen wird."

„Also, so knapp geht's ja bei uns doch nicht zu, dass wir das nicht verkraften können", sagte der Vater. „Komm her, trag die Axt in den Schuppen. Aber wie bringen wir der Mutter bei, dass die Linde stehen bleibt?"

„Ich spreche mit ihr", sagte der lange Bernd. „Ich werde ihr sagen, Hof-Linden

seien jetzt ,in'."

„Nein; danke", sagte der Vater, „das müssen wir schon selber machen, der Junge und ich. Nicht wahr, Andreas?"

Die Fabel von den Schattenpflanzen

Als Gott die Pflanzen erschaffen hatte, fragte er sie, wo sie nun am liebsten leben und blühen möchten. Sie streckten sich aus, schauten umher und wünschten dann alle, dort zu leben, wo sie der Sonne entgegen wachsen und sich nach allen Seiten frei entwickeln könnten.

Er sah sie lange an und sprach dann: „Ich verstehe euren Wunsch. Ich habe euch alle als Lichtpflanzen geschaffen. Aber ich muss auch an den Schatten denken, den ihr, ob ihr wollt oder nicht, unter der Sonne werfen werdet. Ich kann unter eurem Schatten nicht nur Sand und Steine liegen lassen. Es braucht auch Pflanzen, die den Boden feucht halten, damit ihr

an der Sonne nicht austrocknet.“

Und er bestimmte einige von ihnen zu Schattengewächsen. Er behandelte sie so sorgfältig wie die Sonnenpflanzen. Er stattete sie mit weichen, dünnen Blättern aus, damit sie das spärliche Licht umso üppiger auswerten könnten. Er gab ihnen feine Haare, die gleich kleinen versteckten Spiegeln die einfallenden Strahlen vielfältig auffangen und so auch im Halbdunkel ein Abglanz des groß en Lichtes sein könnten.

Dennoch fanden sie sich mit ihrer Bestimmung nur schwer ab. Sie fragten ihren Schöpfer: „Was gibst du uns zum Ausgleich für den verlorenen Sonnenglanz?“

Er antwortete ihnen: „Ich gebe euch Sonnenpflanzen an die Seite, die nicht vergessen, dass sie mit euch zusammen gedeihen, wie ihr mit ihnen zusammen gedeiht. So wird aus lichtvollem Leben Schatten und aus dem Schatten neues Leben werden. Und es wird für euch gut sein. “

So wuchs aus Licht und Dunkel ein untrennbares Geflecht und wurde aus Morgen und Abend ein ganzer Tag.

Der Wissenschaftler

Eines schönen Tages ertappte die Natur einen Wissenschaftler auf ganz

frischer Tat; er hatte sich erdreistet, sie (die Natur) als den „tollsten aller

Zufälle“, als den Zusammenfall von Milliarden Zufällen zu erklären.

„Genug!“ sagte sie, packte ihn am Kragen und warf ihn stracks zu Boden.

„Nun?“ fragte sie ihn.

Er antwortete nach Art eines Wissenschaftlers: „Das war die Gravitation.

Nach Newton...“

Aber noch ehe er die Formel herunterleiern konnte, hatte sie ihn schon

wieder gepackt und sein Gesicht auf den Rasen in die Gräser gedrückt.

„Nun, wie war's?“ fragte sie, als er wieder auf den Beinen war.

„Och“, rief er aus, „diese köstlichen Düfte! Ätherische Öle, ich kenne

alle Formeln...“

Da warf sie ihn zum drittenmal hin, steckte seine Nase in den Humus

und hielt ihn lange fest. Er war wie von Sinnen. Als er wieder zu sich kam,

strich er sich die Erde von Mund, Nase und Augen - und schwieg. Als die

Natur ihn nach langer Pause fragte, wie er sich fühle, antwortete er: „Ich

weiss nicht recht, ich kenne mich nicht mehr richtig aus. Es ist etwas Selt-

sames an dir. Du riechst so eigenartig...“

„Nach was denn?“ wollte die Natur wissen. „Nach was rieche ich

denn?“

Darauf der Wissenschaftler: „Ich fürchte, du riechst nach Gott!“

„Gar nicht schlecht“, nickte die Natur, „du scheinst etwas Wichtiges

begriffen zu haben...“

Geschichte Waruski

Hallo, ich bin die Waruski eine Wurzel (ein Ast) von…. Entsprechender Baum nennen.

Ich begeleite dich bei allen Unternehmungen in diesem Projekt.

Was, du willst mehr von mir wissen? Na klar ich erzähle dir gerne.

Früher war ich eine kleine Wurzel von einem kleinen Baum, ich bin gewachsen und grösser geworden. Ich hatte eine ganz wichtige Aufgabe zu erfüllen. Der Baum … musste immer mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden. Darum wachsen bei allen Bäumen viele kleine Wurzeln in die Erde, sie werden immer grösser und stärker, dicker und fester. Fast wie bei euch Menschen, denn eigentlich kann man ein Baum und ein Mensch in vielen Dingen vergleichen.

Je grösser der Baum wurde, desto mehr Arbeit hatte ich. Die Wurzeln saugen nämlich Energie und Kraft aus dem Boden an. Und zudem musste sich der Baum mit meiner Hilfe im weichen Waldboden festhalten. Uf, das war ganz schön anstrengend. Zum Glück hat ein Baum viele Wurzeln, ein richtiges Wurzelwerk.

Je älter ich wurde, desto stärker wurde ich und ich freute mich, dass meine Arbeit so wichtig war für den Baum.

Doch eines Tages wurde mein Baum einfach umgesägt. Stell dir vor! Ich hatte keinen Baum mehr, den ich halten und ernähren musste. Zum Glück wurde für mich eine neue Aufgabe gefunden! Den Menschen sei dank!

Ich darf nun dich bei allen Unternehmungen begleiten. Ich kann dir viel erzählen und dich auf wunderbare Dinge aufmerksam machen. Darauf freue ich mich. Du kannst mich alles fragen. Gemeinsam werden wir sicher viel erleben.

Die Waruski kann immer eingesetzt werden. Warum nicht auch als gescheite Wurzel, die sich bei Disziplinproblemen einmischt.

Auch einzelne Abschnitte die zur Wissensvermittlung nötig sind können von Waruski vermittelt werden.

Besonders aber kann Waruski mithelfen die religiöse, spirituelle Ebene anzusprechen.

Geschichte zum Erarbeiten der Waldregeln

Idee Monika Baechler

Mit der Waruskiwurzel können die Schüler/innen die Waldregeln erarbeiten. Gespräch mit Fragen unterbrechen. Worauf soll im Wald geachtet werden, welche Regeln gelten. Die Schüler/innen sollen beim erstellen der Regeln miteinbezogen werden. Sie müssen verstehen können, warum etwas nicht gemacht werden darf, welche Gefahren dahinter stecken und wie sie sich sinn- und lustvoll im Wald bewegen dürfen, ohne sich selber, andern oder dem Wald zu schaden.

Juhui, heute gehen wir zusammen in den Wald. Uhi ich freue mich ja so. Ihr alle könnt mitkommen, sicher werden wir viel Interessantes erleben. Der Wald ist ja meine Heimat gewesen. Ich bin ganz gespannt und aufgeregt wieder einmal in den Wald zu kommen. So seid ihr dann eigentlich meine Gäste. Ihr, die Gäste im Wald.

Waruski wird ganz nachdenklich. Oh, da erinnere ich mich doch an eine Gruppe von Kindern, die einmal ganz in der Nähe meines Baumes war. Die waren zuerst ziemlich vergnügt. Ich habe mich auch gefreut ihnen zuzuschauen, wie sie verstecken spielten, wie sie Tannzapfen sammelten, wie sie sogar versuchten eine tolle Waldhütte zu bauen. Doch plötzlich war es nicht mehr so gemütlich. Einer begann mit dem Messer bei meinem Baum lauter blödes Zeug hineinzuschreiben. Au, das tat der Rinde von meinem Baum wirklich weh. Andere haben versucht den Baum anzuzünden. Vom Feuer das sie entfachten für das Braten der Würste, machten sie kleine Fackeln, die sie kreuz und quer durch die Gegend wirbelten. Sie versuchten Blätter und kleine Gräser anzuzünden. Zum Glück hat es gerade noch geregnet und das Feuer konnte sich nicht verbreiten. Als sie sich dann auf den Heimweg machten, sah es wie auf einer Müllhalde aus. Papier, Plastikteller, angebissene Würste und Brotrinden lagen kreuz und quer herum.

Geschichte kann beliebig weiter „gesponnen“ werden und so einzelne Themen ansprechen.

• Worauf würdet ihr den achten wenn ihr im Wald seid?

• Was machen wir mit dem Abfall? Wer nimmt den Müllsack mit?

• Feuerstelle, wie wird sie gemacht? Wie verlassen? Je nach Ort und Witterung ist auf das Feuern im Wald zu verzichten. Auch Pflanzen lieben die Hitze nicht. Regel: Eingerichtete Feuerstelle benutzen. Sonst Boden im Umkreis von 3-5Metern von dürrem Grass, Blättern und Reisig reinigen. Keine flüssigen Brennstoffe zum Anzünden oder Erhalten des Feuers einsetzten. Bei allzu regnerischem, nassem Wetter, können ein paar trockene Holzscheite von zuhause mitgenommen werden. Grosse Steine können als Feuerbegrenzung dienen. Feuer nie unbeaufsichtigt lassen. Feuer vor dem Verlassen der Feuerstelle löschen mit Wasser, nasser Erde.

• Warum sollte man auch bei grossem Durst kein Wasser aus dem Bach trinken? Trinkwasser: Wasser aus dem Bach immer abkochen. Mit dem Förster abklären aus welchem Brunnen man problemlos trinken darf. Sonst genügend sauberes Wasser mitnehmen. Aufteilen wer was mitbringt für den „allgemein Verbrauch“.

• Leckeres, ungutes oder giftiges aus dem Wald. Nur wer gute Kenntnisse hat, darf Beeren pflücken, Blüten sammeln oder Pilze suchen. Wald nie plündern! Schutz vor dem Fuchsbandwurm.

• Vorsichtsmassnahmen Zeckenbisse Vor Zecken schütz man sich mit geeigneter Kleidung, möglichst wenig Haut zeigen. Auf heller Kleidung sieht man Zecken besser. Antizeckenmittel, Pinzette, Desinfektionsmittel gehören unbedingt zur Waldausrüstung. Nach dem Aufenthalt im Wald eine ritualisierte Absuchaktion starten. Zudem den Auftrag mitgeben, sich zu Hause absuchen zu lassen. Am andern Tag rückfragen, ob das Absuchen stattgefunden hat und wer etwas gefunden hat. Infoblatt an alle!

• Wald WC Möglichkeit: Im „WC-Beutel“ eine kleine Schaufel, Toilettenpapier in einem Plastikbeutel (wegen dem nass werden bei Regen) leere Plastikbeutel für das gebrauchte Papier. (Ältere Kinder können das Papier auch verbrennen. Toilettenpapier verrottet erst nach 6Monaten). Wer auf’s WC muss, sucht sich ein stilles Örtchen, gräbt ein kleines Loch….. Das Papier kommt in den Beutel oder wird verbrannt. Das Loch wird wieder zugefüllt und die Erde festgetreten. So ist es eine saubere Sache.

• Taschenmesser je nach Alter der Kinder wird genau abgemacht, wo und wie das Messer benutzt werden darf.

• Kleidung je nach Witterung und Jahreszeit. Kleider sollten auch dreckig werden dürfen. Zwiebelschalenprinzip eignet sich am besten, so können einzelne Kleidungsstücke an- oder ausgezogen werden. Geschlossene Schuhe. Im Sommer Hut und Sonnencreme. Siehe auch die Bemerkungen wegen der Zecken. Regenschutz. Rucksack.

Am Schluss bedankt sich Waruski herzlich für das gute Mitmachen beim Erarbeiten der Waldregeln für die geplante Waldlektion.

Die Vorfreude auf die Waldlektion kann mit einem Lied unterstütz werden.

Im Wald kann dann zu Beginn wieder an die Regeln erinnert werden.

Wenn Infoblätter verteilt werden, können einzelne Punkte weggelassen werden.

Der Weltuntergang

Aus: In und mit der Natur 8-13, Hajo Bücken (Hg.), Burckhardthaus-Laetare Verlag ISBN 3-7664-9163-6 BV

Der Weltuntergang

meine Damen und Herren

Wird nach dem, was man heute so weiss

etwa folgendermassen vor sich gehn:

Am Anfang wird auf einer ziemlich kleinen Insel

im südlichen Pazifik

ein Käfer verschwinden

ein unangenehmer

und alle werden sagen

Gott sei Dank ist dieser Käfer endlich weg

dieses widerliche Jucken, das er brachte

und er war immer voller Dreck.

Wenig später werden die Bewohner dieser Insel merken

dass am Morgen früh

wenn die Vögel singen

eine Stimme fehlt,

eine hohe, eher schrille

wie das Zirpen einer Grille

die Stimme jenes Vogels, dessen Nahrung, es ist klar

der kleine, dreckige Käfer war.

Wenig später werden die Fischer dieser Insel bemerken

dass in ihren Netzen

eine Sorte fehlt

jene kleine, aber ganz besonders zarte, die —

hier muss ich unterbrechen und erwähnen

dass der Vogel mit der eher schrillen Stimme

die Gewohnheit hat oder gehabt haben wird

in einer langen Schlaufe auf das Meer hinaus zu kehren

und während dieses Fluges seinen Kot zu entleeren

und für die kleine, aber ganz besonders zarte Sorte Fisch

war dieser Kot

das tägliche Brot.

Wenig später werden die Bewohner des Kontinents

in dessen Nähe

die ziemlich kleine Insel im Pazifik liegt bemerken

dass sich überall an den Bäumen,

auf den Gräsern, an den Klinken ihrer Türen

auf dem Essen, an den Kleidern,

auf der Haut und in den Haaren

winzige schwarze Insekten versammeln

die sie niemals gesehen

und sie werden's nicht verstehen

denn sie können ja nicht wissen

dass die kleine, aber ganz besonders zarte Sorte Fisch

die Nahrung eines grösseren, gar nicht zarten Fisches war

welcher seinerseits nun einfach eine andere Sorte jagte

einen kleinen, gelben Stichling von selbem Mass

der vor allem diese schwarzen Insekten frass.

Wenig später werden die Bewohner Europas

also wir merken

dass die Eierpreise steigen

und zwar gewaltig

und die Hühnerfarmbesitzerwerden sagen

dass der Mais

aus dem ein Grossteil des Futters für die Hühner besteht

vom Kontinent

in dessen Nähe die ziemlich kleine Insel im Pazifik liegt

plötzlich nicht mehr zu kriegen sei

wegen irgendeiner Plage von Insekten

die man mit Giften erfolgreich abgefangen

nur leider sei dabei auch der Mais draufgegangen.

Wenig später

jetzt geht es immer schneller

kommt überhaupt kein Huhn mehr auf den Teller.

Auf der Suche nach Ersatz für den Mais im Hühnerfutter

hat man den Anteil an Fischmehl verdoppelt

doch jeder Fisch hat heutzutage halt

seinen ganz bestimmten Quecksilbergehalt

bis jetzt war er tief genug, um niemand zu verderben

doch nun geht's an ein weltweites Hühnersterben.

Wenig später

werden die Bewohner jener ziemlich kleinen Insel

im südlichen Pazifik

erschreckt vom Ufer in die Häuser rennen

weil sie das, was sie gesehen haben, absolut nicht kennen.

Die Flut hat heute

und dazu muss man bemerken

der Himmel war blau und Wind gab es keinen

und der Wellengang war niedrig wie stets bei schönem

Wetter

und trotzdem lagen heute Nachmittag

die Ufer der Insel unter Wasser

und natürlich wusste niemand

dass am selben Tag auf der ganzen Welt

die Leute von den Ufern in die Häuser rannten

und die Steigung des Meeres beim Namen nannten.

Wenig später

werden die Bewohner jener ziemlich kleinen Insel

im südlichen Pazifik

von den Dächern ihrer Häuser in die Fischerboote steigen

um in Richtung jenes Kontinents zu fahren

wo seinerzeit die Sache mit dem Mais passierte.

Doch auch dort ist das Meer schon meterhoch gestiegen

und die Städte an der Küste und die Häfen, die liegen

schon rief unter Wasser

denn die Sache ist die

man musste das gesamte Federvieh

also sechs Milliarden Stück

vergiftet wie es war verbrennen

und der Kohlenstaub, der davon entstand

gab der Atmosphäre

durch Wärme und Verbrennung

schon bis anhin strapaziert den Rest.

Sie liess das Sonnenlicht wie bisher herein

aber nicht mehr hinaus

wodurch sich die Luft dermassen erwärmte

dass das Eis an den Polen zu schmelzen begann

die Kälte kam zum Erliegen

und die Meere stiegen.

Wenig später werden die Leute

die mittlerweile in die Berge flohen

hinter den Gipfeln, weit am Horizont

ein seltsam fahles Licht erblicken

und sie wissen nicht, was sie denken sollen

denn man hört dazu ein leises Grollen

und wenn einer der Älteren jetzt vermutet

dass nun der Kampf der Grossen beginnt

um den letzten verbleibenden Raum für ihre Völker

da fragt ein andrer voller Bitterkeit

wie ums Himmels willen kam es soweit?

Tja, meine Damen und Herren

das Meer ist gestiegen, weil die Luft sich erwärmte

die Luft hat sich erwärmt, weil die Hühner verbrannten

die Hühner verbrannten, weil sie Quecksilber hatten

Quecksilber hatten sie, weil Fisch gefüttert wurde

Fisch hat man gefüttert, weil der Mais nicht mehr kam

der Mais kam nicht mehr, weil man Gift benutzte

das Gift musste her, weil die Insekten kamen

die Insekten kamen, weil ein Fisch sie nicht mehr frass

der Fisch frass sie nicht, weil er gefressen wurde

gefressen wurde er, weil ein anderer krepierte

der andere krepierte, weil ein Vogel nicht mehr flog

der Vogel flog nicht mehr, weil ein Käfer verschwand

dieser dreckige Käfer, der am Anfang stand.

Bleibt die Frage

stellen Sie sie unumwunden

warum ist denn dieser Käfer verschwunden?

Das, meine Damen und Herren

ist leider noch nicht richtig geklärt

ich glaube aber fast, er hat sich falsch ernährt.

Statt Gräser zu fressen, frass er Gräser mit Öl

statt Blätter zu fressen, frass er Blätter mit Russ

statt Wasser zu trinken, trank er Wasser mit Schwefel —

so treibt man auf die Dauer an sich selber eben Frevel.

Bliebe noch die Frage

ich stell mich schon drauf ein

wann

wird das sein?

Da kratzen sich die Wissenschaftler meistens in den Haaren

sie sagen in zehn, in zwanzig Jahren

in fünfzig vielleicht oder auch erst in hundert

ich selber habe mich anders besonnen, ich bin sicher

der Weltuntergang, meine Damen und Herren

hat schon begonnen.

Franz Hohler

Der Wald lebt

Es gibt einen Tag in jeder Woche auf den sich Bodo immer sehr freut: den Sonntag. Natürlich freut er sich, dass an diesem Tag keine Schule ist. Manche vermuten vielleicht, dass er sich auch freut, dass er länger schlafen kann. Aber das stimmt nicht.

Jeden Sonntag steht Bodo morgens schon um 6 Uhr auf. Dann ist er ganz unruhig und gespannt. Was wird er heute alles sehen, hören und erleben?

Bodo geht an diesem Tag mit seinem Vater in den Wald. Sein Vater ist Förster

und kann ganz viel erzählen über das Leben im Wald.

Heute hat Papa ihm etwas ganz Besonderes versprochen. Die Geschwister und

die Mutter schlafen noch und Bodo muss sich leise verhalten, um niemanden auf-

zu wecken. Sie gehen zu Fuss, denn der Wald ist nicht weit weg von dem Forsthaus. Nirgends ist ein Autogeräusch zu hören. Die Vögel zwitschern wie in einem Chor.

Bodo kennt mittlerweile schon die Namen und Vogelarten. Auch die anderen Tiere des Waldes kennt er. Er kann sie sogar an den Fussspuren erkennen.

Die Bäume und Pflanzen kann er genau unterscheiden.

„Aber das ist eigentlich nicht das Wichtigste“, erklärt ihm sein Vater. „Das

Wichtigste ist, dass du den Wald mit all deinen Sinnen erlebst. Also schau genau hin, höre auf jedes Geräusch, nimm den Duft des Waldes wahr, schmecke und

betaste die Pflanzen und Bäume.“

Manchmal will Bodo herausfinden, wie sich der Wald anfühlt. Dann streicht er über die Bäume und Pflanzen oder er buddelt mit beiden Händen in der Erde.

Manchmal geht er auch barfuss und erfühlt mit den Füssen den Waldboden. Der Wald wird für ihn immer wieder zu einer Sinnenreise, wie es sein Vater nennt. Zuerst hat er das alles nicht richtig verstanden. Doch jetzt wird die Entdeckungs-reise immer wieder zu einem besonderen Erlebnis.

„Der Wald lebt. Alles wächst und bewegt sich. Du musst nur genau sehen und hören. Wenn du ganz still bist, hörst du überall Geräusche“, sagt Papa.

Heute legen sich beide auf eine Stelle mit Waldmoos und schliessen die Augen.

Dann hören sie genau hin. Und plötzlich hört Bodo Geräusche, die er noch nie im

Wald gehört hat. Es ist wie eine wunderschöne Musik. Der Wald, ein riesen-

grosses Orchester, eine tolle Vorstellung mit ganz aussergewöhnlichen Instrumen-

ten. Doch mit der Zeit spürt er, dass er nicht nur die Geräusche von aussen

wahrnimmt, sondern auch sich selbst.

„Du kannst mit Hilfe der Waldmelodie in dich hinein hören“, erklärt ihm sein

Vater. Das kann Bodo nur bestätigen, denn er ist bei der Übung richtig ruhig

geworden und fühlt sich nun sehr gut. Nachdem sie beide den Wald erobert

haben, gehen sie voller neuer Erlebnisse nach Hause. Dort hat Mama bereits den

Frühstückstisch gedeckt. Bodo kann sich wieder einmal kaum bremsen, alles zu

erzählen, was er heute Neues gelernt hat.

Arthur Thömmes

Was ist das Besondere an der Entdeckungsreise, die Bodo im Wald macht?

Was hast du schon einmal im Wald erlebt? Wie wäre es mit einer » Sinnenreise«

durch den Wald, die ihr alle zusammen macht?

Der unsichtbare Gärtner

Antony Flew, aus: G. Bubolz, U. Tietz, Zwischen Sintflut und Regen-

bogen, Düsseldorf 1995

Es waren einmal zwei Forschungsreisende, die kamen zu einer Lichtung im Dschungel, wo viele Blumen und Kräuter wuchsen. Da sagt der eine: „Irgendein Gärtner schaut wohl nach diesem Stück Land.“ Der andere ist nicht einverstanden und erwidert: „Es gibt keinen Gärtner.“

So schlagen sie ihre Zelte auf und halten Wache. Aber kein Gärtner lässt sich blicken. „Vielleicht ist der Gärtner unsichtbar.“ Da errichten sie einen Zaun aus Stacheldraht und setzen ihn unter Strom. Sie patrouillieren mit Spürhunden...

Aber keine Schreie lassen je erkennen, dass irgendein Eindringling einen Schlag bekommen hätte. Keine Bewegung des Drahtes verrät je einen unsichtbaren Kletterer. Nie geben die Spürhunde Laute von sich.

Aber noch immer ist der Gläubige nicht überzeugt. „Es gibt aber einen Gärtner, einen, der unsichtbar, unfühlbar, für elektrischen Schock unempfindlich ist, einen, der keinen Geruch hat und kein Geräusch macht, einer der heimlich kommt, um nach dem Garten zu sehen, den er liebt.“

Schliesslich verliert der Skeptiker die Geduld und entgegnet: „Was bleibt denn aber von deiner ursprünglichen Behauptung noch übrig? Wie unterscheidet sich denn, was du einen unsichtbaren, unfühlbaren, ewig unkonstatierbaren Gärtner nennst, von einem imaginären oder von überhaupt keinem Gärtner?“

Der fünfte Tag

Aus: In und mit der Natur 8-13, Hajo Bücken (Hg.), Burckhardthaus-Laetare Verlag ISBN 3-7664-9163-6 BV

Es war am fünften Tag der Schöpfung. Sie konnte es noch gar nicht fassen. Unter all den neu geschaffenen Tieren und Vögeln war auch sie: eine kohlrabenschwarze Krähe.

Warum hatte es Gott gefallen, eine Krähe zu schaffen? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass es wunderschön war, mit dem Wind aufzusteigen und hoch über der Erde zu schweben oder sich unter lautem Geschrei auf dem Ast eines blühenden Baumes niederzulassen.

Das war schon was. Am meisten interessierte sie sich für die vielen verschiedenen Gräser und Kräuter, für die Bäume mit all den unterschiedlichsten Früchten und für alles, was es sonst noch zu entdecken gab auf dieser fruchtbaren Erde. Wasser gab es auch, grosse und kleine Seen, Flüsse und dann noch das gewaltige Meer.

Tagelang strich sie so umher und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Sie flog durch Täler und Schluchten, rastete auf hohen Bergen, sah sich alles ganz genau an und schrie immer wieder vor lauter Freude. Sie konnte sich sehen lassen, diese Schöpfung. Gott hatte

das Licht von der Finsternis geschieden, Himmel und Erde geschaffen. Am dritten Tag waren alle Gewächse dazu gekommen, und schliesslich die Himmelslichter, Sonne, Mond und Sterne.

Und am fünften Tag waren sie an der Reihe: die Wassertiere und die Vögel, gewaltig grosse Walfische und winzig kleine Spatzen. Jedes war für sich einzigartig. Das war ein Gewimmel im Wasser und unter dem Himmel. Alle freuten sich und waren guter Dinge. Da gab es kaum einen, der sich nicht darüber gewundert hätte, dass er so geschaffen war, wie er nun mal aus-

schaute. Aber es war auch spannend, Vergleiche zu ziehen. Einer konnte dies besonders gut und der andere das. Es gab so viele unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen; die Schöpfung war einfach etwas Wunderbares.

Die Krähe, nachdem sie alles ausprobiert hatte, was sie selber konnte, schrie laut über die Wipfel hinweg: Es ist schön, am Leben zu sein. Es ist gut so zu sein, wie ich bin. Und sie schrie es immer und immer wieder, so lange, bis sie schliesslich vor lauter Heiserkeit nur

noch krähen, nur noch krächzen konnte. Und bis heute ist das so geblieben. Eine Krähe kann

nur krächzen. Aber jeder Krächzer ist ein Freudenschrei über die Schöpfung, über den fünften Tag.

Eckart Bücken

Bäume fällen

Aus: Himmel, Erde und ich Geschichten zum Nachdenken, Helmut Schreier, Agentur Dieck, ISBN 3-88852-207-2

Morgens auf dem Schulweg bleibt Jochen an der Straßenecke für kurze Zeit stehen. Er schaut zwei Män-

nern zu, wie sie mit einer Motorsäge die äußeren Äste des Baumes auf Petersens Grundstück ab-schneiden. Als Jochen am Nachmittag aus der Schule kommt, ist der alte Baum nicht mehr da. Der Stamm und die Äste sind in gleich lange Abschnitte gesägt und auf dem Bürgersteig gestapelt. Auf der Ladefläche eines VW-Transporters liegt ein Berg von Zweigen. Dort, wo der Baum aus der Erde wuchs, steht jetzt der Baumstumpf, um ihn herum liegt eine Schicht von Holzraspeln. Dort, wo der Baum

seine Äste und Zweige empor streckte, ist jetzt nur der graue Himmel zu sehen.

„Mir kommt es vor wie eine Lücke", sagt Jochen zu Hause seinem Vater. „Es ist ein Jammer um die schöne Eberesche", sagt Vater. „Der Baum war die Zierde der ganzen Gegend. Im Frühjahr die hellen Blütendolden und im Herbst die leuchtend roten Vogelbeeren." „Weshalb haben Petersens denn den Baum fällen lassen?", fragt Jochen. „Herr Petersen hat mir nichts darüber gesagt. Aber was

kann der Grund schon sein? Vielleicht ist der Baum krank gewesen, vielleicht planen sie einen Anbau am Haus, vielleicht ist es ihnen einfach zu viel Arbeit, jeden Herbst die Blätter wegzuräumen..." Nach einer Pause fügt Vater hinzu: „Wenn man es genau bedenkt, gibt es keinen guten Grund dafür, einen Baum zu fällen. In England habe ich sogar einmal gesehen, dass eine Straße im Bogen um einen alten Baum herumgeführt worden war, damit er bleiben konnte."

Am Abend trifft Jochen auf der Straße Frank und Katja, die sich die Reste der Eberesche anschauen. „Ich habe eine Idee für ein Spiel", sagt Jochen. „Also der Baum hat euch gehört. Jetzt müsst ihr sagen, weshalb ihr ihn gefällt habt, und ich verteidige den Baum." „Okee", sagt Frank. „Hör zu: Ich habe den Baum gefällt, weil er alt und morsch war, ein Ast hätte abbrechen und dir auf den Kopf fallen können, wenn du auf dem Schulweg vorbeigegangen bist." „Kein guter Grund", antwortet Jochen. „Du hättest bloß

die alten Äste über dem Bürgersteig abzusägen brauchen." „Außerdem war der Baum gar nicht morsch und alt", ergänzt Katja. „Man kann es ja hier an den Holzstücken sehen. Aber ich sage dir, weshalb der Baum wirklich gefällt worden ist: Da, wo er gestanden hat, will ich eine Gartenlaube hinbauen."

„Kein guter Grund", antwortet Jochen wieder. „Du kannst die Gartenlaube doch ebenso gut neben den Baum setzen. Da ist Platz genug." „Aber ich habe den Platz doch verkauft, weil ich das Geld brauche", fügt. Katja jetzt hinzu. „Und der Mann hat den Platz nur unter der Bedingung gekauft, dass ich den Baum

abhauen lasse." „Auch kein guter Grund", meint Jochen. „Geld kannst du dir auch auf andere Weise beschaffen. Oder du kannst einen anderen Käufer finden, dem du die Bedingung stellst, dass der Baum bleiben muss." „Aber was solls?", ruft Frank. „Der Baum hat auf meinem Grundstück gestanden, und es geht niemanden etwas an, ob ich ihn fällen lasse oder nicht. Schließlich ist der Baum ja mein Eigentum."

„Kein guter Grund", sagt Jochen. „Wieso nicht?", protestieren jetzt Katja und Frank gemeinsam. „Es stimmt doch. Jeder kann mit seinem Eigentum fast alles machen, was er will!" „Es stimmt", gibt Jochen zu. „Aber das ist noch lange kein guter Grund."

Tod der alten Eiche

Mitten im Wald stand eine Eiche. Gross und mächtig stand sie da, still und erhaben.

Sie war sehr alt. Das wussten alle Bäume im Wald. » Aber wie alt? Wie alt war sie wirklich?“ Das wusste keiner. Die Buche nickte: „Ja, ich kam vor 100 Jahren auf die Welt. Das ist lange her. Damals war die Eiche schon gross und mächtig. Alle nannten sie schon „Die alte Eiche“. Das war vor 100 Jahren.“

Die jungen Bäume staunten. „100 Jahre...“ „Das ist ohne Anfang und ohne Ende. Ewig ist das, ewig. Für immer steht die Eiche hier. Jetzt und alle Tage.“

Milde schaute die Buche auf die jungen Bäume: „Auch die Eiche wird sterben wie wir alle“. Die Bäume sahen die alte Eiche an. Ihr Laub sass braun an der Baumkrone.

In diesem Laub sitzt wie jedes Jahr Rotohr, Rotohr das Eichhörnchen. Jedes Jahr

baut es sein Winterhaus in der Eiche. An diesem Abend rauschen die müden, alten

Blätter: „Rotohr, höre, baue dein Nest in einem anderen Baum. Bei mir bist du

Nicht mehr sicher. "

Rotohr schaute ganz überrascht und ängstlich auf die Freundin, die alte Eiche.

„Was ist mit dir, Eiche? Was wird geschehen?“

„Du wirst es erleben. Bald, sehr bald.“ Zögernd klettert Rotohr auf einen anderen Baum ganz nahe bei der alten Eiche. In dieser Nacht kann das Eichhörnchen nicht schlafen.

Immer wieder schaut es besorgt zur alten Eiche, immer wieder. Und im Morgengrauen geschieht es: Der alte Stamm sinkt in sich zusammen, neigt sich zur Seite und stürzt zu Boden. Aufgeregt läuft Rotohr um die Eiche herum. Lang gestreckt liegt sie auf dem Waldboden. Es ist, als stehe sie gleich wieder auf und lebe noch einmal so lange, wie sie schon gelebt hat:1000Jahre.

Aber sie steht nicht wieder auf. Doch in jeder Eichel, die in der Erde Wurzeln

schlägt und ein Baum wird, lebt sie weiter: Ein Baum für 1000 Jahre - vielleicht.

Ursel Frerichs

Bäume im Wald

aus: Rolf Krenzer, Ich wünsch dir einen guten Tag. Werkbuch für Religion und Gottesdienst, Lahn-Verlag Limburg 1983

„Gehst du mit mir in den Wald?“ fragte der Grossvater Thomas. „ Ich möchte dir dort etwas zeigen.“ Thomas ging gern mit dem Grossvater spazieren. Es gab kaum ein Tier, eine Pflanze, die der Grossvater nicht kannte und über die er nicht eine kleine Geschichte zu erzählen wusste. Im Wald angekommen, empfand Thomas, wie schön es dort war. Kein Autolärm. Nur das leise Rauschen der Blätter im Wind und Vogelgezwitscher. Er schnupperte in die Luft und sagte: “Grossvater, es riecht so gut hier.“ „Das machen die Bäume, sie reinigen die Luft“, kam die Antwort

„Nun, sieh dir die Birke an“, fuhr der Grossvater fort, „der Stamm ist silberig-weiss, von schwarzen Streifen durchbrochen. Glatt und schlank reckt er sich in die Höhe. Der Stamm verjüngt sich nach oben, bis in die Spitze. Aus dem Stamm wachsen die Äste. Zuerst dicker, dann werden sie dünner. Aus den Ästen wachen dickere Zweige und aus diesen wieder dünnere und so fort. Hier bei der Birke werden die kleinsten Zweige sehr zart und fein. Bei der Buche und der Eiche sieht es etwas anders aus. Da teilt sich der Stamm oberhalb in zwei oder mehr weniger dicke Stämme, aus denen dann dicke Äste herauswachsen, die sich immer noch verzweigen und spitz auslaufen. Es gibt viele verschiedene Bäume, und sie haben alle ihren Namen. Jede Baumart hatte ihre eigene äussere Gestalt, eine besondere Holzmaserung und ihre eigenen Blattform sowie eigene Früchte.“ Thomas staunte nur. Was der Grossvater alles wusste! Dann schaute er sich noch mehr Bäume ganz genau an. Er hatte gar nicht gewusst, dass Bäume so interessant und schön sein können. Und jeder Baum war anders. „Gott gibt jedem Geschöpf sein eigenes Leben!“ sagte der Grossvater leise. „Und jedes sieht anders aus. Aber man muss schon genau hingucken, um das Besondere an ihm zu entdecken!“

Ursula Fack

Baum-Gleichnis

Biblischer Bezug Richter 9,8-15

Die Bäume gingen hin, um einen König über sich zu salben, und sprachen zum Ölbaum: Sei unser König! Aber der Ölbaum antwortete ihnen: Soll ich meine Fettigkeit lassen, die Götter und Menschen an mir preisen, und hingehen, über den Bäumen zu schweben?

Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du und sei unser König! Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: Soll ich meine Süssigkeit und meine gute Frucht lassen und hingehen, über den Bäumen zu schweben?

Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du und sei unser König! Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben?

Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du und sei unser König! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Ist’s wahr, dass ihr mich zum König über euch salben wollt, so kommt und bergt euch in meinem Schatten; wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons.

Der letzte Baum

Stepan Zavrel bohem press ISBN 3-85581-132-6

Am Rand der Stadt lebten zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Der Förster sah nach den Kindern, so oft er konnte. Und jedes Mal brachte er ihnen etwas aus dem Wald mit.

Die beiden Kinder begleiteten den Förster oft in den Wald. Sie sammelten Blätter, Nadelzweige und Zapfen und zeichneten sie zuhause an die Stubenwand.

Der alte Förster erzählte den Kindern vieles, und bald wussten sie, dass die Fichte gern auf trockenem Boden wächst, die Pinie sogar auf Sandboden. Dass die Platane unter der Winterkälte leidet, die Birke aber noch hoch im Norden, in Polargebieten gedeiht und dass die Zeder die Wärme des Meeres liebt.

„Die Eiche kann tausend Jahre alt werden“, sagte der Förster, als sie durch den Wald gingen. „Den alten Völkern war sie ein heiliger Baum. Aber die Zeder kann noch älter werden. Aus Zedern liess König Salomo seinen Tempel erbauen; ihr Holz galt als unzerstörbar.“

Die Kinder betrachteten eine riesige Zeder, die ihre Krone weit über die andern Baumkronen hob.

„Vielleicht liegt es am Harz“, fuhr der Förster fort. „Es macht das Holz dauerhaft. Unsere Vorväter bestrichen Schriftrollen mit Zedernharz, damit sie lange lesbar blieben.“

Er hielt einen Augenblick inne. „Zedern wuchsen früher rings ums Mittelmeer. Arabien und ganz Nordafrika waren von Zedernwäldern bedeckt. Aber die Menschen haben sie ausgerottet.“ Eines Tages kam der Bürgermeister zu den Kindern. Er betrachtete die vielen Zeichnungen, die die Kinder gemacht hatten. Sie füllten fast die Wände aus. „So lern man den Wald am besten kennen“, sagte er schmunzelnd. Dann wandte er sich an den Förster. „In der Stadt soll eine neue Brücke gebaut werden. Wie steht es mit dem Holz?“ Der Förster schüttelte den Kopf. „Der Nachwuchs ist noch zu jung, und eine Brücke nimmt viel gutes Holz weg. Wir müssen noch warten. „Der Bürgermeister war einverstanden. Zu den Kindern sagte er:“ Der Wald gibt uns viel zum Leben. Wir brauchen Holz, und doch wird der Wald nicht kleiner. – Wisst ihr, warum er noch immer so prächtig dasteht?“

Die Kinder wussten es nicht.

Der Bürgermeister lächelte. „Weil jeder, der einen Baum fällt, auch wieder einen neuen pflanzen muss. So haben wir es abgemacht vor langer Zeit.“

Der alte Förster nickte. „ Ja, das war nicht immer so“, sagte er. Bedächtig stopfte er seine Pfeife, zündete sie mit einem dürren Zweig an und begann zu erzählen.

„Vor vielen, vielen Jahren lebten in der Stadt zwei Kinder. Eigentlich sahen sie euch recht ähnlich. Das Mädchen liess Lea, der Junge Said. Wie ihr wohnten sie zusammen in einer Hütte, und zusammen durchstreiften sie den Wald.

Mit der Zeit lernten sie viele Arten von Bäumen kenne. Sie sahen, dass die Nadeln der Pinie heller sind als die der Tanne, und dass sie paarweise am Zweig stehen. Sie merkten, dass die Nadeln der Tanne nicht ewig halten, sondern nach wenigen Jahren abfallen, und dass immer wieder neue nachwachsen. Die Nadeln der Zeder aber, dunkelgrün wie Tannadeln, fielen nie ab.

Said und Lea wunderten sich. Wie verschieden doch Bäume waren!

Und dann begannen sie, selber Bäume zu pflanzen. Jeden Tag gingen sie in den Wald. Sie gruben sorgfältig junge Bäumchen aus, die wild zwischen den mächtigen Stämmen wuchsen, und setzten sie in ihrem Garten. Sie freute sich. In ihrer Baumschule kamen sie sich wie Lehrer vor. Sie achteten darauf, dass ihre Schüler keinen Buckel machten oder sonst krumm heranwuchsen. Und jeden Abend, wenn die Sonne am Horizont stand, füllten sie die grosse Giesskanne und gaben ihren Schützlingen Wasser.

Eines Tages, es war schon gegen Abend, sahen die Kinder drei Männer über die Brücke kommen. Die drei Fremden gingen zum Marktplatz und stellten ihre Säcke ab. Schwere goldene Halsketten waren drin, funkelndes Geschmeide. Bald rollten Armreife aus Bernstein aufs Pflaster, Perlen, Korallen und geschliffene Muscheln. Die Leute waren ganz aufgeregt. Was die Händler wohl für all diese Schätze wollten?

„Nichts Besonderes, nur Holz“, sagten die Fremden. „Aber viel Holz, so viel ihr herbeischaffen könnt. Wenn es genug ist, könnt ihr noch mehr Geschmeide haben. – Auch an die Kinder haben wir gedacht“, sagten sie lächelnd. „Hier sind Zuckermandeln, Schokoladestengel, süsssaure Bonbons und Kandiszucker.“ Die Leute besahen sich den kostbaren Schmuck und waren begeistert. Sie liessen die Fremden hochleben, und es wurde viel getanzt und viel gesungen in dieser Nacht.

Am anderen Morgen begann’s. Die Leute halfen einander, und ein Baum nach dem andern stürzte krachend nieder. Das Kreischen der Sägen drang durch den ganzen Wald. Die fremden Männer waren zufrieden. Sie verteilten Gold und Silber und führten das Holz fort.

So verging Woche um Woche. Der Wald lichtete sich, einige Hügel standen schon glatt und kahl. Niemand achtete darauf. Und niemand nahm sich die Zeit, junge Bäume zu pflanzen. Die Erde wurde rauer und trockener, die Bäche führten weniger Wasser, es regnete nur noch selten.

Je lichter aber der Wald wurde, umso mehr füllten sich die Truhen mit Gold, Silber, Edelsteinen und Geschmeide. Die Nacken der Bürgersfrauen bogen sich unter der Last der Halsketten, die Zähne der Kinder waren schon gelb, blau, grün und schwarz geworden vom vielen Schlecken.

Said und Lea hatten ihr Scheckzeug längst weggeworfen. Sie sammelten Nacht für Nacht den Tau in grossen Tüchern, die sie auf dem Boden ausbreiteten. Mit dem Tau und dem wenigen Wasser, das der Brunnen spendete, begossen sie sorgsam die jungen Bäumchen ihn ihrem Garten.

Wo der Wald gestanden hatte, war der Boden ganz hart geworden. Und wenn es einmal regnete, floss das Wasser gleich ab. Die Vögel fanden keinen Schatten mehr. Sie fielen erschöpfte zu Boden. Die Leute aber hackten noch immer Holz. Eines Tages fanden sich alle Leute vor einem mächtigen Baum. Schon setzten sie Säge und Axt an, da merkten sei, dass es die berühmte alte Zeder war! Ringsum war kein Wald mehr zu sehen. Die grosse Zeder war der letzte Baum, der ihnen noch geblieben war. Die Hügel starrten kahl. In der Ferne konnte man die Wüste sehen.

Da erschraken die Leute. „Wir haben unseren Wald zerstört!“ riefen sie aus. „Was mache wir jetzt?“ Aber niemand wusste eine Antwort. Die Erde war ausgetrocknet und brüchig geworden. Und aus der Ferne trug ein leichter Wind Sand herbei.

Langsam kam der Sand näher. Er legte sich auf die ganze Gegend. Er häufte sich am Fuss der Zeder. Er bedrohte die Stadt. Da rissen sich die Leute ihre Perlenketten vom Hals. Es waren Glasperlen! Sie öffnete ihre Truhen: Aus dem Gold war Trompetengold geworden, aus dem Silber Katzensilber! Die Leute waren wütend. Sie wartete auf die fremden Männer. Aber die kamen nicht mehr. Aus der Ferne sahen die Händler den abgeholzten Wald. Sie lachten. Das Holz hatten sie erhalten, damit konnten viele Schiffe gebaut werden. Die Stadt mochte ihretwegen versanden. Sie wandten der Stadt den Rücken und suchten das Weite. Aber das war nicht so einfach. Überall lag Sand. Und plötzlich gerieten sie in eine Sanddüne und sanken ein. Immer tiefer sanken sie, und nach einer Weile war von ihnen nur noch ein Hut übrig geblieben.

„Was sollen wir tun?“ fragten die Leute, noch immer ratlos. „Wie können wir uns vor der Wüste retten?“

Da traten Said und Lea zu ihnen. „Ihr müsst neu anpflanzen“, sagten sei. „In unserem Garten wachsen junge Bäumchen, ganz verschiedenartige. Wir werden sie ausgraben und hierher verpflanzen. Beginnen wir mit den Pinien und Zedern. Die können auch im Sandboden wachsen. Und wenn dann die Erde wieder fester geworden ist, holen wir auch die anderen Bäumchen und pflanzen sie daneben. Dann nehmen wir Samen von ihnen und stecken sie in die Erde. Mit der Zeit haben wir wieder einen kleinen Wald. Und es wird auch wieder Tau fallen, und später Regen.

Aber das dauert noch lange. Vorher müssen wie die kleinen Stämme begiessen, jede Nacht, so lange noch Wasser in dem Brunnen ist.“

Die Leute wunderten sich über die Kinder. Aber dann machten sie, was Said und Lea ihnen geraten hatten. Sie arbeiteten Tag und Nacht. Und endlich regnete es wieder, und nach vielen Monaten breitete sich auch ein junger Wald aus.

Die Bürger atmeten auf. Die Stadt war gerettet. Der Wald wuchs. Und eines Morgens kamen die Leute zur Holzhütte am Stadtrand. Sie weckten Said und Lea und führten sie hinaus in den jungen Wald. Dort dankten sie ihnen und versprachen, dem Wald Sorge zu tragen. Alle assen und tranken und tanzten um die Zeder herum. Und das Versprechen haben sie bis heute gehalten.“

Der alte Förster klopfte seine kalt gerauchte Pfeife aus. Der Bürgermeister schaute nachdenklich ins Feuer. Die beiden Kinder schwiegen. Dann fragten sie den Förster neugierig: „Wer waren Said und Lea? Hast du sie noch gekannt?“ Der Förster lächelte. „Ja“, sagte er, „eigentlich schon es waren meine Grosseltern.“

Das Baummärchen vom Holzhauer, der den Baum hinaufsteigt

(S.15; aus: Hans Hilger: "Geheimnis des Baumes"; Verlag Herder, Freiburg 1956)

"Ein Märchen erzählt von dem Holzhauer, der im Walde plötzlich vor einem ungeheuren Baume stand, wie er noch nie einen gesehen hatte. Von dessen Wipfel wollte er die Welt besehen. Er hieb seine Axt in den Stamm, stieg hinan und kletterte sieben Tage, bis er die Krone erreicht. Da kam er in die kupferne Stadt, blieb aber nicht bei der kupfernen Prinzessin, sondern stieg noch höher hinauf. Nach wiederum sieben Tagen stand er in der silbernen Stadt mit der silbernen Prinzessin, und nach weiteren sieben Tagen erreichte er die goldene Stadt im Wipfel des Baumes, fand die goldene Braut, mit der er nach vielen Abenteuern glücklich wurde..."

Der Sorgenbaum

Aus chassidischer Tradition

Am Tag des jüngsten Gerichts darf jeder Mensch all seinen Kummer an einen Ast des grossen Sorgenbaumes hängen. Wenn jeder einen Zweig gefunden hat, an dem sein ganzer Jammer baumeln kann, beginnen alle, langsam um den Baum herumzugehen. Jeder darf sich das Bündel Sorgen aussuchen, das er seinem eigenen vorziehen würde. Am Ende nimmt sich jeder lieber wieder das eigene Bündel vom Baum, als das eines anderen zu tragen. Und jeder geht weiser als er kam.

Die drei Nussbäume

Verkürzt nach Hanni Neubauer, Wenn der Nussbaum Früchte trägt, aus:

Religionspädagogische Praxis, 2/1998, Verlag religionspädagogische Arbeitshilfen, Landshut

Einem jungen Königspaar wurden drei Söhne geboren. Nach jeder Geburt pflanzte der König einen Nussbaum mit einem besonderen Wunsch in den Schlossgarten. Dem Erstgeborenen wünschte er die Kraft und Mächtigkeit eines Nussbaumes, dem Zweiten Lebensmut und Freude, wie die grünen Blätter des Baumes dies künden, und dem Jüngsten wünschte er: „Du sollst reifen und immer Frucht bringen.“

Die Söhne wuchsen heran. Wie auch die Jahresringe der Bäume zunahmen. Jeder machte sich den Wunsch des Vaters zur Lebensregel.

Der Älteste verstand unter „Mächtigkeit“, in immer neuen Kriegen seinen Reichtum zu mehren. Aber mit seiner Macht wuchs auch seine Einsamkeit, weil alle vor ihm Angst hatten. In den Kämpfen des Krieges wurde sein Nussbaum geschlagen und verdorrte. Der zweite Sohn verstand unter Leben und Freude, Feste fröhlich zu feiern. Er prasste und schlemmte, Ärger und Missgunst wuchsen, und schnell war das Erbe verbraucht. Der wurde einsam und krank; die Blätter am Nussbaum welkten. Der Jüngste dachte über den Wunsch seines Vaters nach; er sass lange unter seinem Nussbaum. Schliesslich begriff er das Sinnbild des Baumes: Die Wurzeln griffen tief in die Erde und gaben dabei so festen Stand, den kein Sturm erschüttern konnte. Gleichzeitig saugten sie Wasser und Nahrung aus der Erde für Äste, Blätter und Früchte. Er sah aber auch das Streben des Baumes in die Höhe, um Luft und Licht einzuatmen. Das wusste der jüngste Sohn, dass Früchte nur wachsen können, wenn die Kraft der Erde und der Segen des Himmels sich vereinen. So richtete er seinen Blick auf die Erde und ging neben seiner Arbeit auch zu den Kranken, Hungrigen und Traurigen. Und wenn er von seiner Arbeit müde und ausgelaugt war, setzte er sich unter seinen Nussbaum, schaute nach oben in die Zweige und erbat sich vom Himmel Kraft und Segen für sein Werk. Jedes Mal entdeckte er dabei neue Früchte in seinem Nussbaum, und seine Blätter welkten über das ganze Jahr nicht.

Die Geschichte vom Volk das die Bäume umarmte

Deborah Lee Rose Ansata Verlag ISBN 3-7157-0146-3

Vor langer, langer Zeit, als in Indien noch mächtige Maharadscha herrschten, lebte ein Mädchen, das die Bäume liebte. Es hiess Amrita und wohnte in einem armen Dorf aus Lehmhütten, das am Rande der grossen Wüste stand. Hinter dem Dorf wuchs ein Wald.

Jeden Tag lief Amrita in den Wald; dabei tanzte ihr langer, schwarzer Zopf auf ihrem Rücken hin und her. Sie suchte ihren Lieblingsbaum und schlang die Arme um ihn. „Du lieber Bau,“, rief sie, „du bist so gross, und wie sind deine Blätter so grün! Wie könnten wir ohne dich leben?“ Denn Amrita wusste, dass die Bäume mit ihrem Schatten Schutz boten vor der brennenden Sonne. Die Bäume schützten sie vor den heulenden Sandstürmen der Wüste. Und wo Bäume wuchsen, da gab es auch reines Wasser, das für die Bewohner des Dorfes so kostbar war. Ehe Amrita den Wald wieder verliess, küsste sie ihren Baum und flüsterte: „Lieber Baum, wenn du einmal in Gefahr bist, will ich dich auch beschützen.“

Der Baum antwortete ihr mit einem leisen Rauschen seiner Blätter.

Eines Tages kurz vor der Regenzeit wirbelte ein gewaltiger Sandsturm durch die Wüste. Innerhalb von Minuten war es überall dunkel wie in der Nacht. Blitze durchzuckten den Himmel. Und der Wind peitschte gegen die Bäume. Amrita lief nach Hause, so schnell sie konnte. Von innen hörte sie, wie der Sand gegen die Fensterläden prasselte. Als der Sturm sich gelegt hatte, war überall Sand – in Amritas Kleidern, in ihrem Haar, ja sogar in ihrem Essen.

Aber sie war in Sicherheit, und die anderen Dorfbewohner auch, denn die Bäume hatten den schlimmsten Schaden abgehalten.

Je grösser Amrita wurde, desto mehr wuchs ihre Liebe zu den Bäumen. Bald hatte sie selbst Kinder und ging mit ihnen in den Wald.

„Das sind eure Brüder und Schwestern“, sagte sie zu ihnen. „Sie bieten uns Schatten vor der heissen Wüstensonne. Sie schützen uns vor den schrecklichen Sandstürmen der Wüste. Und bei ihnen finden wir das köstliche Wasser“, erklärte sie. Dann ermunterte sie ihre Kinder, die Bäume zu umarmen, wie sie selbst es immer tat. Jeden Tag, wenn Amrita aus dem Wald kam, holte sie Wasser aus dem Dorfbrunnen. Sie trug das Wasser in einem grossen Tonkrug, den sie auf ihrem Kopf balancierte. Als Amrita eines Morgens am Brunnen stand, sah sie, wie mit schweren Äxten bewaffnete Männer auf den Wald zu marschierten. „Fällt alle Bäume, die ihr hier findet“, hörte sie den Anführer sagen. „Der Maharadscha braucht viel Holz, um seine neuen Festung zu bauen.“

Der Maharadscha war ein mächtiger Fürst, der über viele Dörfer herrschte. Sein Wort war Gesetz. Amrita bekam Angst. „Die Holzfäller werden unseren Wald zerstören“, fuhr es ihr durch den Sinn. „Und dann haben wir keinen Schatten mehr und sind den Sandstürmen ausgeliefert. Und müssen verdursten, denn in der Wüste gibt es kein Wasser!“ Amrita lief in den Wald und versteckte sich. In ihrem Versteck hörte sei, wie die Äxte mit Krachen in ihre geleibten Bäume hineinführten.

Plötzlich sah Amrita, wie der Anführer vor ihrem Lieblingsbaum stand und mit der Axt ausholte. „Bitte, diesen Bäume nicht!“ rief sie, sprang aus ihrem Versteck und stellt sich vor ihren Baum. „Scher dich weg!“ donnerte der Holzfäller. „Lass meinen Baum leben“, bettelte Amrita. „Schlag lieber mich tot.“ Der Holzfäller stiess sie beiseite und holte wieder mit der Axt aus. Er sah nur den Baum. Den er fällen sollte. Immer wieder schlug er zu, bis Amritas Baum zu Boden stürzte. Weinend kniete Amrita nieder. Zärtlich schmiegte sie sich an die Äste des sterbenden Baumes.

Als die Dorfbewohner hörten, was mit Amritas Baum geschehen war, kamen sie alle in den Wald gelaufen – Männer, Frauen und Kinder. Schnell sprang ein jeder vor einen Baum und umarmte ihn. Wo die Holzfäller auch zuschlagen wollten – überall standen ihnen die Dorfbewohner im Weg.

„Das wer ich dem Maharadscha melden“, drohte der Anführer. Dich die Dorfbewohner wichen nicht von der Stelle. Der Maharadscha war sehr wütend, als die Holzfäller mit leeren Händen zurückkehrten. „Wo ist denn das Holz, das ihr holen sollt?“ „Eure Majestät, wir haben es ja versucht, die Bäume für Eure Festung zu fällen“, antwortete der Anführer. „Doch überall, wo wir hinkamen, haben die Dorfbewohner ihre Bäume umarmt, und wir konnten nicht an die Bäume heran.“

Der Maharadscha liess sein Schwert durch die Luft sausen. „Diesen Ungehorsam werden sie mir büssen!“ Er stieg auf sein schnellstes Pferd und ritt auf den Wald zu. Viele Soldaten folgten ihm auf langbeinigen Kamelen und auf Elefanten, deren Stosszähne mit Juwelen verziert waren.

Als der Maharadscha ankam, hatten die Dorfbewohner sich am Brunnen versammelt. „Wer wagt es, sich meinem Befehlt zu widersetzen?“ fragte der Maharadscha. Amrita zögerte einen Augenblick. Dann trat sie einen Schritt vor.

„O Fürst, wir können nicht zulassen, dass die Holzfäller unseren Wald zerstören“, sagte sie. „Diese Bäume spenden uns Schatten in der glühenden Wüstensonne. Sie schützen uns vor den Sandstürmen, die sonst unsere Ernte vernichten und unser Dorf unter sich begraben. Und sie zeigen uns, wo wir das kostbare Trinkwasser finden.“

„Ohne diese Bäume kann ich keine mächtige Festung bauen!“ beharrte der Maharadscha.

„Ohne diese Bäume können wir nicht überleben“, erwiderte Amrita. Der Maharadscha blitzte sie zornig an. „Schlagt zu“, befahl er seinen Soldaten. Als die Soldaten ihre Schwerter zückten, liefen die Dorfbewohner in den Wald. Sie Soldaten rückten immer näher. Der Sand wirbelte ihnen um die Füsse, und in den Baumwipfeln begannen die Blätter immer lauter zu rascheln. Kaum hatten die Soldaten den Wald erreicht, erhob sich ein tosender Wind aus der Wüste und trieb ihnen so viel Sand in die Augen, dass sie kaum noch etwas sehen konnten. Die Soldaten flüchteten vor dem Sturm und suchten Schutz hinter den Bäumen. Amrita klammerte sich an ihren Lieblingsbaum, und die anderen Dorfbewohner verbargen ihre Gesichter in den Händen. Donnerschläge liessen den Wald erzittern. Das war der schlimmste Sturm, den sie je erlebt hatten. Als der Wind sich endlich gelegt hatte, wagten sie sich langsam aus dem Wald hervor. Amrita strich sich den Sand aus den Kleidern und sah sich um. Überall lagen abgebrochenen Äste verstreut. Der Boden war mit Getreideähren übersät, die der Sturm von den Feldern gerissen hatte. Rund um den Dorfbrunnen türmten sich Berge von Sand, und Amrita sah: Es waren die Bäume die den Brunnen und den Reste des Dorfes vor der Zerstörung bewahrt hatten.

Hinter dem Brunnen stand der Maharadscha und blickte sinnend zum Wald hinüber. Er dachte lange nach. Dann sprach er zu den Dorfbewohnern:

„Es zeugt von grosser Tapferkeit und Weisheit, dass ihr euren Wald beschützt habt. Von heute an soll niemand mehr eure Bäume fällen“, versprach er.

„Euer Wald soll für immer eine grüne Insel in der Wüste sein.“ Als die Dorfbewohner das hörten, jubelten sie vor Freude. Sie dangen und tanzten bis spät in die Nacht und erleuchteten den Himmel mit Feuerwerk. Im Wald schmückten die Kinder die Äste der Bäume mit bunten Girlanden. Und den Platz, wo Amritas Baum gefällt worden war, weihten sie seinem Gedenke um das grosse Opfer des Baumes nie zu vergessen.

Viele Jahre sind seither vergangen; doch manche Leute sagen, Amrita komme auch heute noch in den Wald, um die Bäume zu umarmen. „Ihr lieben Bäume“, hört man sie flüstern, „ihr seid so stattlich, und eure Blätter sind so grün! Wie könnten wir ohne euch leben?“

Denn Amrita weiss, dass die Bäume den Menschen Schatten vor der heissen Wüstensonne geben. Die Bäume beschützen die Menschen vor den heulenden Sandstürmen. Und wo Bäume wachsen, da gibt es auch Wasser, und man kann gut dort leben.

In der ursprünglichen Legende wird erzählt, dass Amrita Devi und noch mehrere hundert Dorfbewohner ihr Leben opferten, um ihren Wald zu schützen. Das ist jetzt schon fast drei Jahrhunderte her. Zum Andenken an ihre Opfer hat die indische Regierung das Dorf Khejare in Rajasthan zum ersten Umweltdenkmal Indiens ernannt.

Heute kämpfen die Menschen in Indien immer noch um die Erhaltung ihrer Umwelt. Eine der engagiertesten Umweltschutzgruppen ist der Chipko-Bewegung („Chipko“ bedeutet so viel wie „Umarmt den Baum“). Ihre Mitglieder leisten gewaltlosen Widerstand gegen das Fällen von Bäumen.

Im Jahre 1987 erhielt die Chipko-Bewegung den berühmten Alternativen Nobelpreis für „ihre Bemühungen um die Erhaltung, Wiederherstellung und ökologisch verantwortungsbewusste Nutzung der Naturschätze Indiens.“

Ein Baum für Jakob

Wolf Harranth, The Tjong Khing, ISBN 3-570-01422-3 C. Bertelsmann

Da stand er also, der Baum, mitten auf der Wiese. Ganz allein mitten auf der Wiese, mit viel Himmel über der Krone und viel Erde unter den Wurzeln. Und wenn die Sonne schien, schien die Sonne, und wenn es regnete, regnete es eben. Und wenn der Wind blies? Na, dann blies der Wind. Dem Baum war alles recht, und das war schön und gut so.

Eines Tages kam ein kleiner Junge auf die Wiese, das war der Jakob. Wenn sich Jakob auf die Zehenspitzen reckte, konnte er gerade noch den einen untersten Ast erreichen. Er schaukelte auf ihm: Da war er ein Schaukelbär. Wenn Jakob mit beiden Beinen zugleich lossprang, konnte er gerade noch den anderen untersten Äste erreichen. Er turnte hinauf: Da war er ein Turnaffe. Wenn Jakob sich hochzog, konnte er auf den Baum klettern. Erst setzt er sich bei den beiden starken Ästen neben dem verlassenen Amselnest in die Astgabel. Dann kletterte er weiter. Und noch weiter. Bis er fast ganz oben war und weit in die Welt schauen konnte: Da war er Jakob, der König von Überall.

Die Zeit verging, und wenn der Schnee fiel, schneite es, und wenn ein Gewitter kam, gewitterte es eben. Und wenn der Nebel aufzog? Na, dann sah sich der Baum nicht einmal selbst. Dem Baum war alles recht, und das war schön und gut so.

Eines Tages kam Jakob wieder auf die Weise. Jetzt war aber kein kleiner Junge mehr, sondern ein junger Mann. Und er kam auch nicht allein, sondern mit einer jungen Frau. Die beiden setzten sich unter den Baum, lehnten sich an den Stamm und hatten einander viel zu erzählen. So viel, dass darüber die Sonne unterging und die Sterne hell wurden. Und sich der Mond in der Baumkrone hockte. Und dann stand Jakob auf und nahm ein Messer aus der Tasche und schnitt ein Herz in die Rinde. Ein Herz mit einem Pfeil. Und unter dem Herz schrieb er ein J in die Rinde und neben das J ein K, denn die junge Frau hiess Katharina. Das Messer in der Rinde tat dem Baum ein bisschen weh; trotzdem dachte er sich: Das muss wohl so sein, also war es schön und gut so.

Wieder verging die Zeit, gar nicht viel Zeit diesmal, und Jakob kam zurück auf die Wiese und baute dort ein Haus. Zur Mittagsstunde setzte er sich unter den Baum, ass und trank und schlief ein Stündchen. Dann baute er weiter. Tag für Tag. Als das Haus fertig war und nur noch die Tür fehlte, ging Jakob zum Baum und sagte: „Verzeih lieber Baum, aber unser Haus hat noch keine Tür, und ich brauche einen dicken Ast von dir. Den schenkst du mir doch, oder?“ Und Jakob sägte den einen untersten Ast ab, den Schaukelbär-Ast.

Die Säge tat dem Baum recht weh; trotzdem dachte er sich:

Das muss wohl so sein, also war es schön und gut so.

Jakob schnitt den Ast zu Brettern, und aus den Brettern leimte er einen Tür, und als die Tür fertig war, war auch das Haus ganz fertig, und Jakob und Katherina zogen ein und wohnten in dem Haus.

Jetzt war der Baum nicht mehr allein auf der Weise mit den Mäusen unter den Wurzeln und den Amseln in den Zweigen. Jetzt gab es Menschen hier, und das gefiel dem Baum. Auch dem Jakob gefiel es auf der Weise. Jetzt war er Jakob, der König von Hierdaheim.

Wieder verging die Zeit, etwas mehr Zeit diesmal. Eines Morgens hörte der Baum einen winzige Stimme aus dem Haus. Und dann kam Jakob aus der Tür, ging zum Baum und sagte: „Freu dich mit mir, lieber Baum, wir haben ein Kind bekommen! Aber es hat noch keine Wiege, und ich brauche einen dicken Ast von dir. Den schenkst du mir doch, oder?“ Und Jakob sägte den anderen untersten Ast ab, den Turnaffen-Ast. Die Säge tat dem Baum ziemlich weh; trotzdem dachte er sich: Das muss wohl so sein, also war es schön und gut so.

Jakob schnitt den Ast zu Brettern, und aus den Brettern leimte er eine Wiege, und als die Wiege fertig war, stellte er sie unter den Baum, und Katharina brachte das Kind heraus und legte es in die Wiege. Jetzt hatte der Baum viel zu tun. Wenn er behutsam mit den Zweigen fingerte, gab das einen Lichtklecks auf der Wange des Kindes. Und wenn er die Zweige ein wenig spreizte, kitzelte ein Sonnenstrahl das Kind in der Nase. Das war ein Spiel, das hatten sie beide gern. Und wenn es plötzlich zu regnen begann, machte der Baum die Blätter ganz breit, bis Katharina gelaufen kam und das Kind ins Haus zurücktrug.

Wieder verging die Zeit, ein Sommer, ein Herbst und ein Winter diesmal. Es war ein strenger Winter mit schwerem Schnee und klarem Frost, und er hatte einen kalten Hauch mitgebracht, der viele Menschen krank machte, krank zum Sterben. Die Menschen nannten das: eine Seuche. Und an einem grauen, trübnassen Morgen wurde es auf einmal sehr still im Haus. Und dann kam Jakob aus der Tür, ging zum Baum und sagte: „Weine mit mir, lieber Baum, meine Frau und mein Kind sind tot! Aus der Wiege ist ein Sarg geworden, aber Katharina hat noch keinen, und ich brauche zwei starke Äste von dir. Die schenkst du mir doch, oder?“

Und Jakob sägte die beiden starken Äste ab, bis zur Astgabel mit dem verlassenen Amselnest. Die Säge tat dem Baum weh, das es schmerzte; trotzdem dachte er sich: Das muss wohl so sein, also war es zwar nicht schön und gut so, aber richtig und wichtig.

Jakob schnitt die Äste zu Brettern, und aus den Brettern leimte er einen Sarg. Nun gab es zwei kleine Hügel unter dem Baum, zwei kleine Hügel mit zwei kleinen Kreuzen. Jakob stellte an jedem Morgen frische Blumen auf die Gräber, setzte sich unter den Baum, schaute mit grossen Augen ins Leere, dorthin, wo es nichts zu sehen gab, und sagte kein Wort. Da hielt der Baum möglichst still, und wenn Jakob besonders tief seufzte, legte er ihm eine Schattenhand auf die Schulter.

Wieder verging die Zeit, zäh verging sie diesmal, besonders zäh für Jakob, den König Ohneland. Und mit jedem Tag wurde Jakob ruheloser. Und in keiner Nacht konnte Jakob schlafen.

Dann kam der Tag, an dem Jakob die Axt holte.

Er ging damit zum Baum und sagte: „Es nützt alles nichts, lieber Baum. Das Haus hat eine Tür, aber ich mag nicht mehr ein und aus gehen. Meine Frau und mein Kind sind tot, aber ich mag nicht mehr an ihren Gräbern sitzen. Die Wiese ist gross, aber die Welt ist grösser. Ich will weit, weit fort, aber ich habe kein Boot, und ich brauche deinen Stamm. Den schenkst du mir doch, oder?“ Und Jakob hieb mit der Axt den Stamm um. Die Axt traf den Baum tief ins Mark; trotzdem dachte er sich: Das muss wohl so sein, also war es zwar nicht schön und gut so, aber richtig und wichtig und er liess es geschehen.

Noch einmal griff er mit allen Ästen und Zweigen in den Himmel, noch einmal hörte er sich ächzen und splittern, dann gab er leise schwankend nach und krachte längenlang ins Gras.

Jakob glättete den Stamm. Höhlte ihn aus, stellte den Mast auf, klemmte den Kiel ein, trug das Boot zum Wasser, setzte das Segel und führ davon. Da klotzte er also, der Baumstumpf mitten auf der Wiese. Ganz allein mitten auf der Wiese, mit viel Himmel über sich und viel Erde unter den faulenden Wurzeln. Die Zeit verging, und wenn die Sonne schien, schien die Sonne, und wenn es regnete, regnete es eben. Und wenn der Wind blies, blies der Wind. Die Zeit verging, und wenn der Schnee fiel, schneite es, und wenn ein Gewitter kam gewitterte es eben. Und wenn der Nebel aufzog? Na, dann sah sich der Baumstumpf nicht einmal selbst. Die Zeit verging. Das Gras wuchs über die Gräber. Das Haus verfiel. Im Frühling suchten die Amseln vergeblich nach einem Platz für ihr Nest. Im Sommer räkelte sich die Eidechse reglos in der heissen Sonne. Im Herbst krochen Wind und Nässe noch in die letzte Ritze. Im Winter schliefen die Mäuse tief unterm Schnee, zwischen den Wurzeln geborgen. Die Zeit verging und der Baumstumpf wartete. Die Zeit verging. Viel Zeit, diesmal. Sehr viel Zeit.

Bis eines Tages ein Boot anlegte. Ein morsches Boot auf seiner letzten Fahrt. Und aus dem Boot stieg ein alter Mann, der war überall gewesen und König von Nirgendwo. Langsam ging er über die Wiese und schaute sich um. Und irgendwie kam ihm hier alles bekannt und vertraut vor. Aber er wusste nicht warum. Bis der alte Mann mit der Fussspitze an etwas anstiess und beinahe gestolpert wäre. Da sagte der alte Mann nur: „Lieber Baum.“ Und weil er müde war, setzte er sich auf den verwitterten Stumpf, und das was schön und gut so, und nun wusste der Baum, worauf er die vielen Jahre gewartet hatte. Und liess es geschehen.

Schlussbild im gleichnamigen Bilderbuch: Drei Gräber, drei Kreuze und aus dem Baumstumpf wächst ein neuer Spross empor.

Eine alte amerikanische Parabel, die eindrücklich zeigt, wie die Natur dem Menschen „dient“, obgleich sie ständig von ihm missbraucht wird. Ein Bilderbuch zum Thema Natur, leise und voller Poesie.

Einen alten Baum fällen?

Berthold Lutz aus: „Lehrpfad Schöpfung“, Landesgartenschau Würzburg, 1990 Medienreferat, Diözese Würzburg

Ein alter Baum – ich wollte ihn fällen; er war wirklich alt und neigte sich schon.

Die Vögel flatterten aufgeregt: Tue es nicht, im weiten Nest seiner Zweige sind wir ausser Gefahr! Ich nahm die Axt aus dem Rucksack. Eine Maus purzelte vor Schreck kopfüber ins Loch: Tue es nicht, zwischen den Wurzeln da und der Wurzel dort wohnen wir zu vielen – und nicht nur Mäuse!

Ich prüfte die Schärfe der Schneide. Winzige Blüten im Moos glänzten wie Tränen: Tue es nicht, hundert zierliche grüne nahe und ferne Verwandte würden verschmachten! Ich umfasste die Axt mit beiden Händen. Ich holte aus und schlug zu – da entlud sich, ohne Vorwarnung einzelner Tropfen, die Wolke über uns jäh und flutend wie eine riesige Wanne. Ich warf die Axt über die Schulter zurück und schmiegte mich eng an den Stamm. Und der Baum liess es zu. Drei, vier Vogelliedstrophen später schien wieder die Sonne. Ich verstaute die Axt wie ein Dieb im Rucksack. Ich tastete den Schnitt in der Rinde und atmete auf: Der alte Baum – wegen dieser Wunde wurde er nicht sterben! Ich ging, ohne mich nochmals umzusehen, den Weg zurück. Ich ging wie einer der es nicht mehr im Griff hat, sich nicht zu schämen.

Afrikanisches Märchen

Franz Grypkens

Auch bekannt unter Die Palme, von der Last des Lebens

Durch eine Oase ging ein finsterer Mann, Ben Sadok. Er war so gallig in seinem Charakter, dass er nichts Gesundes und Schönes sehen konnte, ohne es zu verderben. Am Rande der Oase stand ein junger Palmenbaum im besten Wachstum. Der stach dem finsteren Araber in die Augen. Da nahm er einen schweren Stein und legte ihn der jungen Palme mitten in die Krone. Mit einem bösen Lachen ging er weiter. Die junge Palme schüttelte sich und bog sich und versuchte, die Last abzuschütteln. Vergebens. Zu fest sass der Stein in der Krone. Da krallte sich der junge Baum tiefer in den Boden und stemmte sich gegen die steinerne Last. Er senkte seine Wurzeln so tief, dass sie die verborgene Wasserader der Oase erreichten, und stemmte den Stein so hoch, dass die Krone über jeden Schatten hinausreichte. Wasser aus der Tiefe und Sonnenglut aus der Höhe machten einen königliche Palme aus dem jungen Baum. Nach Jahren kam Ben Sadok wieder, ums sich an dem Krüppelbaum zu freuen, den er verdorben. Er sucht vergebens. Da senkte die stolzeste Palme ihre Krone, zeigte den Stein und sagte: “Ben Sadok, ich muss dir danken, deine Last hat mich stark gemacht.

Das Lied der Mutter Erde

Ein Märchen aus dem Land der Indianer

Es war einmal ein Indianerdorf weit im Westen, dort wo die Sonne untergeht. In diesem Indianerdorf lebte Kleines Mädchen. Sie ging gerne im Wald und in den Wiesen, in den Bergen und an den Seen spazieren, die um das Dorf herum lagen. Eines Tages, als sie gerade bei ihrem Freund, einem grossen Baum, sass, da erschien neben ihr ein kleines, runzeliges Wesen. Es forderte Kleines Mädchen auf, ihm in eine Höhle zu folgen. Doch das war gar nicht so einfach, denn in dem langen Gang der Höhle war es feucht und dunkel, so dass sie nichts sehen konnte. Der kleine Kobold Kwill machte ihr jedoch Mut, und so gelangten sie beide in einen grossen Felsensaal, der von kleinen Feuern hell erleuchtet war. In ihm hielten sich tausende von solchen kleinen Wesen, wie Kwill eines war, auf. Sie tanzten, sie lachten, sie spielten und sie unterhielten sich miteinander. Jedes hatte eine andere Form und eine andere Farbe.

Fast keines glich dem anderen. Kwill erklärte Kleinem Mädchen, dass das die Erdgeister wären, und dass alle Pflanzen und alle Tiere, alle Steine und alle Flüsse, alles auf der Erde und im Weltall einen solchen kleinen Geist als Beschützer hätte.

Nachdem Kleines Mädchen dem bunten Treiben eine Weile zugeschaut hatte, wurden alle plötzlich ganz still. Aus einem Spalt in der Felswand kam zuerst ein strahlendes Licht und dann erschien eine grosse würdevolle Gestalt. Es war Altim Elut, der Häuptling der Erdgeister. Er ging auf Kleines Mädchen zu und schenkte ihr eine Flöte. Es war keine gewöhnliche Flöte. Denn mit dieser silbernen Flöte konnte sie das Lied der Mutter Erde spielen. Es war ein schönes und klares Lied. Alle Erdgeister lauschten dem Lied, denn es erzählte von der Verwandtschaft der Wesen auf der Erde. Altim Elut erklärte Kleinem Mädchen die Botschaft dieses Liedes: „ Blumen und Bäume, Steine und Tiere können nicht sprechen, aber sie haben Herzen und Seelen genau wie du und genau wie ich. Sie können deine Liebe fühkn und die Botschaft deines Herzens hören. Niemak sollst du also deine Mutter Erde vergessen. Sie ist ein sehr wichtiger Teil in der grossen Schöpfung." Kleines Mädchen bekam nun von Altim Elut den Auftrag, wieder in ihr Dorf zurückzukehren und jeden Tag auf ihrer Flöte zu spielen, damit die Menschen dieses Lied der Mutter Erde und seine Botschaft vernehmen könnten. Sie bedankte sich beim grossen Häuptling, verabschiedete sich von den bunten und fröhlichen Erdgeistern und ging mit Kwill und der Flöte den dunklen Gang zurück, bis sie die strahlende Sonne wieder sah. Kwill erinnerte sie noch einmal an ihren Auftrag und war plötzlich verschwunden.

So ging also Kleines Mädchen in ihr Dorf zurück, erzählte allen von ihrem Abenteuer in der Höhle. Jeden Morgen und jeden Abend ging sie nun auf den Hügel nahe beim Dorf und spielte auf ihrer Flöte, bis alle Menschen erkannt hatten, dass die Mutter Erde einen Geist hat. Sie entdeckten die kleinen Erdgeister als Beschützer von Blumen, Bäumen und Tieren. Kleines Mädchen wurde älter. Sie wurde Mutter und Grossmutter. Doch nie vergass sie, ihr Lied auf der Flöte zu spielen. Deshalb nannten sie alle die Flötenfrau.

Eines Tages jedoch geschah etwas Sonderbares. In grossen Schiffen mit hellen Segeln kamen weisse Menschen über das Meer. Sie kamen von Osten, dort wo die Sonne aufgeht. Über das ganze Land breiteten sie sich aus. Das Volk von Flötenfrau wusste bald nicht mehr, wo es seine Dörfer und Zelte aufschlagen sollte. Und die weissen Menschen machten sonderbare Dinge. Sie bauten Häuser. Zuerst bauten sie kleine, dann bauten sie grössere Häuser. Dann rissen sie die kleinen Häuser ab und errichteten dafür ganz grosse Gebäude. Weiter und weiter breiteten sie sich über das Land aus. Einige der Menschen gruben tiefe Löcher in die Erde und holten wertvolle Steine heraus und schwarzes Öl. Dann begannen sie, Fabriken entlang der Flüsse zu bauen. Flötenfrau hörte von alledem. Eines Tages schaute sie von ihrem Hügel aus nach Osten und Westen. Das ganze Land war mit Häusern bedeckt. Die Bäume und Wiesen mussten den Fabriken weichen, in denen Menschen arbeiteten. Es gab Brücken über die Flüsse. Und es gab Zäune. Zäune, um Dinge drinnen zu halten, und Zäune, um Dinge draussen zu halten. Strassen und Autobahnen durchquerten das ganze Land. Als Flötenfrau das Lied der Mutter Erde spielen wollte, war nun ein solches Dröhnen in der Luft, dass keiner mehr die schöne Stimme der Flöte hören konnte. Und so verschwanden nach und nach auch die Erdgeister, die Beschützer von Blumen und Bäumen, Steinen und Tieren. Deshalb hängte Flötenfrau ihre silberne Flöte an die Wand, wo eine kleine schwarz-rote Spinne ein Netz darüber spann.

Die Bäume waren abgeholzt. Wo einst der grüne Wald lebte, waren jetzt Städte. Entlang der Flüsse standen die Fabriken. Niemand schien sich darum zu sorgen, dass Tiere und Pflanzen vom Rauch und Lärm erstickten. Die Kinder konnten nicht einmal mehr die Sterne sehen. Die Menschen schauten in ihre Flüsse und entdeckten, dass sie tot waren. Es wurden Schilder aufgestellt: Haltet euch vom toten Fluss fern! Die Bäume am Ufer, die das Wasser getrunken hatten, fielen einer nach dem anderen um. Und überall Berge von Abfällen. An Flüssen und Strassen, auf Plätzen und Brücken. Es sah schrecklich aus: Die Tiere flohen, und viele kehrten nie mehr zurück Die Menschen hatten vergessen, dass alle Wesen im Universum miteinander verwandt sind und dass alles im Weltall einen Geist hat.

Nur wenige der Menschen erinnerten sich noch manchmal an die Flötenfrau, die jetzt alt geworden in ihrer Hütte sass und nichts mehr zu tun hatte. Ob das Lied der Flöte der kranken Erde helfen könnte? So machten sich einige auf den Weg und suchten die alte Flötenfrau. Und als sie diese nach langem Suchen endlich gefunden hatten, baten sie:

„Spiel bitte noch einmal das Lied der Mutter Erde auf deiner Flöte, damit die Schutzgeister wieder zurückkehren können!" Doch als sie gemeinsam oben auf dem Hügel standen, und Alte Flötenfrau ihr Lied nach Osten und Westen, nach Norden und Süden spielte, geschah nichts. Die Menschen waren sehr verzweifelt, als sie sahen, dass die Naturgeister fortblieben, so oft Alte Flötenfrau das Lied auch spielte. Sie schickten Alte Flötenfrau nun auf eine lange Reise durch alle Länder der Erde, um mit ihrem Lied die Naturgeister zurückzurufen. Doch nichts geschah.

Müde und enttäuscht kehrte Alte Flötenfrau in ihre kleine Hütte am Fusse des Hügels zurück Sie setzte sich in ihren alten Stuhl und ihr fielen die Worte ein, die Altim Elut ihr in der dunklen Höhle gesagt hatte: „Spiele immer deine Flöte. Die Menschen sollen niemals ihre Mutter Erde vergessen, und dass sie ein wichtiger Teil in der grossen Schöpfung ist." Alte Flötenfrau machte sich Vorwürfe. Wenn sie jeden Tag trotz Rauch und Lärm auf ihrer Flöte gespielt hätte, wenn sie jeden Tag vom kleinen Volk der Naturgeister erzählt hätte, wäre dies vielleicht alles nicht geschehen. Doch nun war sie alt und müde, und sie sagte sich, dass es keinen Sinn mehr hätte, es noch länger zu versuchen. Sie dachte, dass es nun Zeit für sie wäre zu sterben. Sie lehnte sich in ihren alten Stuhl zurück Doch als sie gerade dabei war, ihren Körper zu verlassen, erschien plötzlich Kwill neben ihr. Es war der kleine Kobold, der ihr vor langer Zeit den Weg in die Höhle gezeigt hatte, wo sie von Altim Elut die silberne Flöte geschenkt bekam. Er hielt sie auf und bat sie, wieder in ihren alten Körper zurückzukehren. Gerade jetzt sei die Zeit gekommen, in der sie ihr Lied spielen müsste. Jetzt kann sie es tun, denn die Menschen haben die Welt und ihre Schönheit verloren. Und erst wenn sie die Welt verloren haben, werden sie erkennen, dass sie ihr gegenüber Verantwortung tragen.

So folgte Alte Flötenfrau mit ihrer Flöte dem Kobold Kwill, wie sie es schon einmal getan hatte. Doch dieses Mal führte er sie auf den höchsten Gipfel der Müllhalde. Und dort begann sie, das Lied der Mutter Erde zu spielen. Kwill versprach ihr, dass sich bei dem Lied nun die Herzen der Kinder öffnen werden, und die Naturgeister werden hineinspringen. Dann wird jedes Kind einen Beschützer mit sich tragen. Wenn ihr eines Tages allein am Hang eines Berges steht, oder an einem Feuer sitzt, oder ihr steht mit jemandem, den ihr gern habt, unter einem grossen Baum und ihr hört plötzlich den Klang der Flöte, denkt an eure Mutter Erde und erinnert euch: „Blumen und Bäume, Steine und Tiere können nicht sprechen, aber sie haben Herzen und Seelen genau wie du und genau wie ich."

Anregungen und Spielvorschläge, um selbst die Verwandtschaft zu den Lebewesen und den scheinbar unbelebten Dingen in unserer Umwelt zu entdecken.

Der zitternde Baum

Zum Dank für seine Heeresdienste erhielt ein Krieger von seinem Herrn ein Stück Land am Bodefluss. Er hackte den Wald ab, der darauf wuchs, bis nur noch drei Bäume übrig waren.

Da überwand ihn die Müdigkeit, und das Beil glitt ihm aus den Händen. Als er tief in der Nacht erwachte, erblickte er im Ungewissen Nebellicht drei Jungfrauen in den Blumen, die weinten und klagten, dass sie nun auch ihr Leben verlieren müssten gleich ihren Schwestern, wenn die Arbeit bei Tage vollendet würde. Euch soll kein Leid geschehen, rief der Krieger aus, da waren sie verschwunden, nur noch der Nachtwind flüsterte in den Blättern.

Der Mann aber, der glaubte, er habe geträumt, hielt dennoch sein Versprechen und liess die drei Bäume stehen. Fortan gedieh sein Besitz, und sein Acker trug reiche Frucht. Als jedoch ein Nachfahr auch diese drei Bäume umbrachte, war es aus mit dem Segen, und der Acker verdorrte und wurde vom Wind davongetragen.

Ein alter Mann erzählt

„ Ein alter Mann kam mit seinen erwachsenen Kindern aus Russland in eine westdeutsche Stadt. Er liess

Bekannte, Freunde, Haus und Hof zurück, weil er ein besseres Leben erwartete. Aus seinem Garten

hatte der alte Mann einen kleinen Baum ausgegraben und mitgenommen: Heimlich pflanzte er ihn in

die Nähe des Wohnheimes ein, goss ihn täglich, pflegte und hütete den Baum wie einen Schatz. Der Baum schien zu wachsen. Doch eines Nachts warf ihn ein heftiger Sturm um. Darüber war der alte Mann traurig und dachte: ,Mit Pflanzen ist es wie mit einem Menschen. Sie brauchen Zeit, bis sie in einer neuen

Umgebung Wurzeln schlagen'." (Der Autor)

Eingebunden und Verantwortlich

Projekt Schöpfung

Er-Schöpfung

Am ersten Tag beschloss der Mensch, dass er das Wichtigste auf der Welt sei und alles andere nach ihm komme. Sein Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Luxus, sein Egoismus und seine Rücksichtslosigkeit liessen eine Tierart nach der anderen aussterben zum Schluss gab es nur noch wenige. Die Pflanzen wurden immer seltener. Aber der Mensch dachte: Macht nichts. Ich schreibe Bücher und mache Bilder als Erinnerung an sie.

Am zweiten Tag wurde es dem Menschen langweilig. Er teilte sich in Gruppen ein, baute Waffen und rief die Gruppen auf, sich gegenseitig zu vernichten. Der Erfindungsgeist des Menschen war gross und er erfand viele grausame Waffen. Doch solange man einen Feind hatte, dem man alle Schuld geben konnte, waren die Gruppen zufrieden. Viele Menschen litten sehr unter den Kriegen und starben qualvoll. Der Mensch dachte: Macht nichts. Umso mehr bleibt für die Gewinner übrig.

Am dritten Tag war nur noch eine kleine Siegergruppe übrig. Die Welt lag in Schutt und Asche, und viele Gebiete waren für Jahrhunderte verseucht und wurden zugemauert. Da beschloss der Mensch, die Menschen selber zu bauen, wie Gott es einst getan hatte. Man wollte Menschen mit besonderen Eigenschaften züchten: starke Kämpfer, zähe Arbeiter, schlaue Denker. Und so wurden in den Genlabors lauter Fliessbandmenschen hergestellt. Alles war vorprogrammiert, nichts wurde mehr der Natur überlassen. Der Mensch dachte: Macht nichts. So ist es praktisch. Wir haben die höchste Effektivität erreicht.

Am vierten Tag gab es kein sauberes Wasser mehr und kaum noch Nahrung. Die Erde war verwüstet und der Giftmüll stapelte sich überall. Viele Menschen wurden krank und starben. Der Mensch dachte: Macht nichts. Wir machen uns eine neue Heimat, indem wir den Mars bewohnbar machen. Dann fliegen wir mit unseren Raumfähren auf den neuen sauberen Planeten und fangen von vorne an.

Am fünften Tag war die Atmosphäre auf dem Mars ähnlich der auf der Erde. Sie wurde von einer grossen Maschine hergestellt, die viel Strom brauchte. Die ersten Raumfähren mit Menschen reichten den Planeten. Nur eine kleine Gruppe war übriggeblieben. Der Mensch dachte: Macht nichts. Hier können wir von vorne anfangen, alle Möglichkeiten sind wieder offen. Wir bauen schnell eine grosse Industriestadt, um die künstliche Atmosphäre beizubehalten, dann bevölkern wir den Mars und beherrschen ihn.

Am sechsten Tag begannen die übriggebliebenen Menschen damit, ihre neue Stadt zu

bauen. Dabei merkten sie, dass sie nicht wussten, wie sie ohne den Nachschub von der Erde leben könnten. Sie stritten sich darum, wie sie wohnen, wie sie sich ernähren und leben sollten. Aber vor allem hatte der Mensch vergessen, wie man in einer Gruppe zusammenhält, zusammen organisiert und aufeinander eingeht. Der Mensch dachte: Macht nichts. Das lag ja schliesslich früher in unserer Natur und wir werden es wohl wieder lernen.

Am siebenten Tag waren nur noch zwei Menschen übrig, ein Mann und eine Frau. Alle

anderen waren schon gestorben, sie waren verunglückt oder hatten sich aus Unsicherheit, aus Gier und Missgunst umgebracht, weil sie nicht gewohnt waren einander zu vertrauen. Da merkte der Mensch, dass er das Vertrauen nie wieder, lernen würde. Misstrauisch beäugten sich die beiden letzten Menschen, bevor sie beschlossen, einander lieber aus dem Wege zu gehen...

Sibylle Hassels

Die Geschichte einer Fichte

Aufgezeichnet von Franziska Meister

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Die WOZ hat mitten in einem typischen Schweizer Mittellandwäldchen eine Fichte getroffen. Sie war bereit, die WOZ an ihren Erfahrungen mit dem Klimawandel teilhaben zu lassen.

Ich hatte kaum richtig Wurzeln geschlagen, als ein gewaltiger Föhnsturm durch unseren Wald bei Birmensdorf fegte. Das war am 5. Januar 1919. Rund um mich herum ächzte und stöhnte es. Besonders beängstigend war das Knacken, mit dem einzelne Äste brachen und zu Boden krachten. Nie werde ich vergessen, wie mein hoch aufgeschossener Urgrossvater auf der andern Seite des schmalen Waldpfades schiefer und schiefer zu werden begann, bis er unaufhaltsam ins Kippen geriet und mit dumpfem Grollen keine zwei Meter neben mir auf den Waldboden schlug. Sein riesiger Wurzelteller ragte fast ebenso hoch in den dunkelgrauen Sturmhimmel wie die Äste seiner Baumkrone, die noch Momente zuvor alle unsere Nachbarn überragt hatte.

Seit damals weiss ich um das grosse Handicap unserer Familie, mit dem uns unsere Verwandten – die Buche, die Tanne und vor allem die Eiche – immer wieder aufziehen: Wir Fichten sind «Flachwurzler».

Im Schweizer Wald geben aber immer noch wir den Ton an. Allein im Kanton Zürich besetzen wir Fichten ein Drittel der Waldfläche, schweizweit sogar vierzig Prozent. Ausserdem wächst eine Picea abies, wie uns die Gelehrten nennen, meist höher hinaus als die anderen Bäume; einige meiner Cousinen im Emmental sind fast fünfzig Meter hoch. Mein Cousin im Göscheneralptal ist zwar kleiner, dafür ungeheuer dick: Fast sechs Meter misst er im Umfang. Nicht, dass er so ein Fresssack wäre – eine Fichte ist sehr genügsam. Wir wachsen auch ohne viel Licht und Nährstoffe. Frost und Kälte machen uns nichts aus. Deshalb lebt unsere Familie auch weit verzweigt von Mitteleuropa bis hinauf nach Skandinavien und ostwärts bis nach Sibirien. Nur Regenwasser brauchen wir genug – als «Flachwurzler» halt.

Und wenn ich ehrlich sein darf: Eigentlich würde ich meinen Standort hier in Birmensdorf lieber mit dem meiner Cousins in den Voralpen tauschen. Dort gehört unsereins nämlich natürlicherweise hin – in die Zone zwischen 800 und 1500 Metern über Meer. Aber das war den Menschen vor 200 Jahren egal. Die wollten damals einfach ganz schnell ganz viel Holz, um damit Fabriken, Brücken und Eisenbahnlinien zu bauen und all die neuen Maschinen anzufeuern. Und so pflanzten sie grosse Fichtenwälder auch im Mittelland. Denn wir wachsen nicht nur schnell, sondern liefern auch noch das günstigste und beste Bauholz. Zum Glück trat 1876 das Forstpolizeigesetz in Kraft: Fortan durften die Menschen nur das nachwachsende Holz nutzen – quasi die Zinsen –, das Kapital hingegen, also den Wald, nicht antasten.

Sonst wäre es uns noch ergangen wie unseren Familienmitgliedern in Britannien. Die wurden in Reih und Glied in riesigen Fichtenplantagen aufgezüchtet und wieder abgeholzt, sobald sie eine Höhe von knapp zwanzig Metern erreicht hatten. Noch heute werden unsere britischen Plantagencousins mit kaum 60 Jahren gefällt. Dabei können wir Fichten problemlos über 400, ja sogar 600 Jahre alt werden. Leider ist unsere Lebenserwartung im Mittelland aber deutlich niedriger – und das nicht nur, weil wir regelmässig abgeholzt werden. Nein. Wir sind hier unten einfach anfälliger auf Krankheiten und Umwelteinflüsse, besonders, wenn wir nur unter unseresgleichen aufwachsen.

«Dünnhäutig» nennen sie uns deswegen oft. Klar ist unsere Rinde nicht so dick und knorrig wie die einer Eiche. Was uns Fichten aber viel mehr stresst, ist, wenn es im Sommer so warm und trocken wird. Und das ist immer häufiger der Fall. Klimaerwärmung, sage ich nur. Im deutschen Mittelfranken etwa ist das Klima bereits so warm und trocken geworden, dass die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft befürchtet, die Fichtenwälder seien dort nicht mehr zu retten. Und dass jetzt niemand behauptet, das sei einer Übertreibung meiner deutschen Onkel und Tanten geschuldet, sozusagen ihrem Verzweiflungsschrei. Auf den haben nämlich vor allem die Borkenkäfer reagiert – genauer gesagt, der Buchdrucker und der Kupferstecher. Sobald unsere deutschen Familienmitglieder unter der Trockenheit und Wärme zu ächzen begannen, waren die Käfer zur Stelle und fielen sie an: Die Buchdrucker bohrten sich im unteren Teil des Stammes durch die Rinde ins Kambium, um ihre Eier ins Versorgungsgewebe zu legen. Die Kupferstecher attackierten vom Wipfel her.

Nicht, dass sich unsere Onkel und Tanten nicht gewehrt hätten – wozu haben sie denn das ganze Harz ... Aber es waren einfach zu viele Borkenkäfer. Denn die konnten sich in den geschwächten und in den bereits toten Bäumen des Fichtenwaldes viel stärker als sonst vermehren – wegen der langen, warmen Sommerperiode. Statt eine oder zwei deponierten sie drei Generationen an Eiern in diesen Bäumen, und die Larven schafften es dann innert kurzer Zeit, rund um den Baum im Kambium ihre Gänge zu graben. Damit schnitten sie unsern Onkeln und Tanten im wörtlichen Sinn die Lebensader durch. Mittlerweile haben die Förster in Mittelfranken Hunde darauf trainiert, Fichten aufzuspüren, die von Borkenkäfern befallen sind. Vielleicht der letzte Versuch, unsere Familie dort zu retten ...

Wir Fichten im Schweizer Mittelland sind weniger gefährdet, sagen die Förster, weil wir in einem Mischwald zusammen mit unsern Verwandten leben. Und die Laubbäume bieten Buchdruckern und Kupferstechern keine Brutstätten. Trotzdem haben ich und meine engsten Familienmitglieder hier in Birmensdorf in den letzten Jahrzehnten am eigenen Leib erfahren, was Klimawandel heisst. Mit den steigenden Durchschnittstemperaturen können wir ja noch umgehen. Was uns viel mehr stresst, sind Wetterextreme wie eben Trockenheit und Stürme – und die haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gehäuft. Unser Handicap macht uns dabei schwer zu schaffen. In langen Trockenperioden leiden unsere flachen Wurzeln, weil sie das tiefer gelegene Grundwasser nicht anzapfen können.

Meine grösste Angst aber sind Stürme. Schon möglich, dass ich da ein Trauma aus meiner Kindheit nicht verarbeitet habe. Trotzdem – meine Erfahrung zeigt, dass Stürme nicht nur häufiger, sondern auch heftiger geworden sind: Im November 1982 raubte mir ein dreitägiger Föhnsturm fast den Atem; Ende Februar 1990 musste ich mich «Vivian» unter Mobilisierung all meiner Kräfte während Stunden entgegenstemmen. Und dann – kaum war die Sorge ausgestanden, die Menschen würden eines meiner Kinder fällen, um es in einer Wohnstube mit Lametta, Glitzerkugeln und Süssigkeiten zu behängen –, kam «Lothar». Am 26. Dezember 1999 gegen Mittag brauste ein Orkan über unseren Wald hinweg, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Regen und Wind peitschten gegen meinen Stamm und zerzausten meine Krone, über mir blitzte und donnerte es unaufhörlich. Eben als ich glaubte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, wirbelte eine zweite Serie von Sturmböen in rascher Folge durch uns hindurch. Um mich herum kippten Brüder und Schwestern um, einige barsten mit einem hässlichen Knall in der Mitte entzwei.

Als es vorbei war, war unser Wald ein anderer. Viele unserer jüngeren Fichtenkinder, die sich in meinem Rücken dicht aneinanderdrängen, standen noch. Von meinen Geschwistern auf der anderen Seite des schmalen Waldwegs und etwas weiter zu meiner Rechten hingegen hatten nur wenige überlebt. Kreuz und quer lagen sie übereinander. Es war ein einziges Trümmerfeld. Vereinzelt ragten spitzzackige Fichtenstämme senkrecht daraus hervor. Nur die alte Eiche stand noch mitsamt ihrer Krone, die Buchen und Eschen ebenso. Wo vorher Schatten geherrscht hatte, brach sich nun das Licht ungehindert Bahn bis zum Boden.

Im Mittelland ist jede fünfte Fichte «Lothar» zum Opfer gefallen – zumindest indirekt. Denn im Frühling 2001 kamen die Borkenkäfer. Die Buchdrucker hatten sich im Totholz eingenistet und vermehrt. Jetzt begannen sie, die geschwächten Bäume zu attackieren. Zwar hatten es die Förster geschafft, die meisten unserer gefällten Familienmitglieder abzutransportieren, und rechneten damit, dass der Käferbefall nach 2002 um fünfzig Prozent abnehmen würde. Doch dann kam der Hitzesommer 2003. Entgegen der Prognose verdoppelte sich die Zahl der Käfer sogar. Nun fielen sie in Horden über uns her – sogar über die Kerngesunden unter uns.

Erneut musste ich um mein Leben kämpfen und all meine Ressourcen in die Harzproduktion stecken. Einige meiner verbliebenen Geschwister haben es nicht geschafft – besonders jene nicht, die den Kupferstechern in den Baumkronen wegen der grossen Dürre nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Ihnen schnürten die Käfer von oben und unten gleichzeitig die Lebensader ab. Auch der Hallimaschpilz drang nun unter die beschädigte Rinde und half mit, ihr Schicksal zu besiegeln.

Acht Millionen Kubikmeter Fichtenholz hat «Lothar» 1999 in der Schweiz umgeworfen. Rund vier Millionen kamen in den folgenden Jahren hinzu. Wegen der Borkenkäfer. Und die werden mit den steigenden Temperaturen in Zukunft vermehrt zwei oder sogar drei Generationen pro Jahr ausbilden können und dadurch die Entwicklung des Waldes massgeblich steuern. Sagen die Waldforscher der WSL, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, gleich neben unserem Wald. Ich hab gehört, wie sie sich unterhalten haben. Einige von ihnen befürchten, dass sich als Folge unsere Lebensumwelt stark verändern wird. In ihrem neusten Landesforstinventar kommen sie zum Schluss, dass viele Anzeichen darauf hindeuten, dass sich Gesundheit und Vitalität des Waldes aufgrund von Naturereignissen verringern: Mehr Bäume und vor allem ganze Waldflächen sind immer stärker beschädigt.

An trockenen, warmen Standorten – insbesondere im Wallis – ergeht es den Föhren immer mehr wie uns Fichten: Ihre Sämlinge verdorren, bevor sie überhaupt Wurzeln einbohren können. Und seit kurzem breitet sich unter Eschen nördlich der Alpen rasend schnell ein tödlicher weisser Pilz aus, der die Wasserversorgung in Rinde und Seitentrieben unterbricht. Auch auf den Ästen der Eschen, die sich zu meiner Linken zwischen meinen jüngsten Kindern gruppieren, schimmern bereits viele weisse Tupfen. Noch rätseln die Waldforscher über die Ursachen, vermuten aber einen Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Wir Fichten sind so etwas wie die Seismografen des Klimawandels. Verspottet uns also bitte nicht länger als dünnhäutige «Flachwurzler».

Eine Wurzel erzählt

„ Hier könnt Ihr mich sehen, die Wurzel. Normalerwiese bin ich unsichtbar für Eure Augen, verborgen in der Erde. Alle staunen über den prächtigen Baum. Aber keiner interessiert sich für mich. Ich trage den Baum. Ich gebe ihm Halt und Stand. Wachst er in die Höhe und breitet seine Zweige aus, dann wachse ich in die Tiefe, grabe mich in das Erdreich nach allen Seiten. Der Baum sagt: ,Es ist gut, Wurzel, dass es dich gibt. Danke, dass du mir Halt und Stand gibst.' - Im Erdreich finde ich Wasser und viele Nährstoffe, die der Baum zum Leben braucht. Ich sauge sie ein, bringe sie hinauf in den Stamm, in die Äste und in die Blätter. Der Baum sagt: „Es ist gut, Wurzel, dass es dich gibt. Danke, dass du mich

Ernährst."

Quelle unbekannt

Versammlung der Tiere

Mit grossen Sprüngen hüpfte das Känguru von Land zu Land. Es sprang auf jeden Marktplatz. Mit einem Riesensatz gelangte es zu den weissen Stränden der Ozeane. Überall griff es in seine tiefe Tasche und entrollte ein grosses Papier. Dann rief es mit lauter Stimme:

„Ihr Tiere des Himmels, der Erde und des Wassers. Ihr Tiere, die ihr fliegen könnt, die ihr lauft und rennt, die ihr kriecht und schwimmt, ihr grossen und kleinen Tiere hört auf meine Stimme. So spricht der König der Tiere. Es sind Klagen zu mir gekommen. Die Flunder hat sich beschwert, dass der Sand des Meeres schwarz geworden ist von Öl. Der Spatz kann nicht mehr richtig atmen. Die Katzen verlieren immer mehr Junge auf der Strasse. Sie wurden überfahren. Hört mich an. Ich habe alle Klagen gehört. Ich habe beschlossen, eine grosse Versammlung mit Euch abzuhalten."

Das Känguru rollte das Papier schon bei den letzten Worten wieder zusammen.

„Endlich", riefen die Tauben. Die Fische nickten stumm und gaben so ihre Zustimmung. Und die Spinne hatte zum ersten Male wieder Mut, ihren Faden dicker zu spinnen.

Viele Tiere machten sich auf den Weg. Und weil es wichtig für sie war, halfen sie sich. Die Schwalbe kannte den Weg nach Süden und nahm Mücken und Schmetterlinge mit. Die kleine Fledermaus durfte sich auf den Rücken des Hirsches setzen. Schwierig war es nur für die Fische. Für sie musste der König eigens ein grosses Aquarium bauen. Für Wochen vergassen sie allen Streit.

Dann endlich war der Tag des grossen Treffens da. Der König schritt majestätisch durch die Menge. Er grüsste freundlich mit erhobener Hand. Er ging zu seinem Thron. Er setzte sich. Er schaute einen Moment auf seine Untertanen. Dann holte er tief Luft und sprach:

„Freunde, ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid. Sagt, was euch bedrückt."

Das war die Aufforderung, auf die alle gewartet hatten. Sie durften erzählen. Allen voran die Fliege. Sie flüsterte nur noch. Auf die kleinen Tiere folgten die Grossen. Was sie erzählten, war fast bei jedem gleich: Wir können nicht mehr leben. Unsere Welt geht kaputt. Sie kamen alle dran, die grossen und die kleinen Tiere, die wilden Tiere und die Haustiere. Die Wut stieg in der Menge an. Die Menschen werden unverschämter und grausamer. Die betonieren die Erde zu. Der Lärm wird unerträglich. Der Schmutz macht uns kaputt. Unser Land wird uns genommen.

Unser Wasser stinkt. Die Luft fehlt uns zum Atmen. „So kann es nicht weitergehen, die Erde ist in Gefahr", entschied der König. Aber was sollten sie tun, die Tiere? Sie hatten keine Waffen. Die Wälder zum Verstecken waren klein geworden. Gegen ihre Stacheln und Bisse hatten die Menschen Medizin erfunden.

„Sie haben mehr Verstand als wir", riefen die Elstern. „Nein, sie haben den Verstand verloren" , schimpften andere. Die Tiere waren ratlos. „Vielleicht hören sie auf uns", sagten die Haustiere. „Wir können noch mit ihnen sprechen. Wir müssen es versuchen. Uns mögen die Menschen noch. Sie streicheln und kraulen uns. Und wenn uns das gefällt, lächeln sie." Das ist ein neuer Gedanke! Sollten die Haustiere die Menschen ändern können? Wie sollte das gehen? Noch lange wurde darüber gestritten. Dann wurden die Haustiere beauftragt, mit den Menschen zu reden. Zwei Jahre Zeit wurde ihnen gegeben. „Die spinnen", sagte die Spinne und verkroch sich. „Ich werde meinen Faden erst dann wieder zaubern, wenn ich weiss, dass die Haustiere es geschafft haben."

Ob die Spinnen jemals wieder ihre zarten und hauchdünnen Gewebe von Ast zu Ast und von Strauch zu Strauch gesponnen haben?

Ob jemals wieder ein Tautropfen im Spinnennetz einen fröhlichen Tag anzeigen durfte?

Hartmut Bewersdorf

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